Mittel zur Behandlung von Viruserkrankungen J05 Antivirale Mittel zur systemischen Anwendung

Veröffentlicht am: 09.02.24

Viren bestehen im Wesentlichen aus einem „Bauplan“ für sich selbst, einer Hülle sowie einigen wenigen „Werkzeugen“ in Form von Proteinen. Diese Werkzeuge sorgen dafür, dass die infizierten Zellen − eines Organismus oder einer Zellkultur − neue Viruspartikel synthetisieren und freisetzen. Nur mit „Hilfe“ von Zellen können sich Viren vermehren. Daher waren Infektionen durch Viren lange Zeit erheblich schwieriger zu bekämpfen, ohne den Wirtsorganismus zu schädigen, als Infektionen durch Bakterien.

Erfolge einer antiviralen Therapie gelangen erstmals in den 1960er-Jahren mit sogenannten Antimetaboliten. Antimetaboliten hemmen die Synthese von Stoffen, die für die Vermehrung der Viren essenziell sind, beispielsweise Nukleinsäuren. Neuentwicklungen richten sich zunehmend gezielt gegen bestimmte Virusproteine und sind daher in der Regel deutlich besser verträglich als Antimetaboliten. Jüngstes Beispiel dafür sind die neuen DAA (direkt wirkende antivirale Wirkstoffe) zur Behandlung der Hepatitis, die die herkömmlichen Therapien in kürzester Zeit komplett abgelöst haben.

Die Indikationsgruppe der Antiviralen Mittel zur systemischen Anwendung wird entsprechend dem Wirkspektrum dieser Arzneimittel in verschiedene Teil-Indikationsgruppen unterteilt. Von größter Bedeutung sind die Teil-Indikationsgruppen der Mittel jeweils gegen HIV, Herpes, Hepatitis B sowie Hepatitis C. Die in diesen Teil-Indikationsgruppen zusammengefassten Arzneimittel wirken in der Regel spezifisch nur gegen die genannten Viren und hemmen deren Vermehrung (Replikation).

Teil-Indikationsgruppen

Die Mittel gegen Herpesviren werden hauptsächlich bei Infektionen durch das Varicella-zoster-Virus eingesetzt, die sich z. B. in Form einer Gürtelrose manifestieren. Einige Wirkstoffe können auch bei Infektionen durch das Herpes-simplex-Virus angewendet werden.

Ebenfalls Viren aus der Familie der Herpesviren betreffen die Wirkstoffe aus der Teil-Indikationsgruppe der Mittel gegen Zytomegalievirus (CMV)-Infektionen. Infektionen durch CMV können bei immungeschwächten Patienten lebensbedrohlich verlaufen.

Von größter Bedeutung ist die Teil-Indikationsgruppe der Mittel bei Infektionen durch das HIV. Bei Patienten mit HIV-Infektion bzw. Aids muss eine lebenslange Therapie mit einer Kombination aus mindestens drei Wirkstoffen durchgeführt werden, um die Virusreplikation zu unterdrücken.

Mittel aus der Teil-Indikationsgruppe der Mittel gegen Hepatitis C kommen bei chronischer Hepatitis C zum Einsatz. Ziel der Behandlung ist die dauerhafte Viruselimination, um so das Risiko für Spätkomplikationen zu senken. Dazu gehört in erster Linie die Leberzirrhose, auf deren Basis sich ein Leberzellkarzinom entwickeln kann.

In der Teil-Indikationsgruppe der Mittel bei Hepatitis B werden Wirkstoffe zusammengefasst, die ausschließlich zur Behandlung der chronischen Hepatitis B verwendet werden. Neben anderen Wirkstoffen werden diese aus ähnlichen Gründen eingesetzt wie bei der Hepatitis C, nämlich zur Minderung des Risikos von Spätkomplikationen. Anders als inzwischen bei der Hepatitis C ist die Viruselimination hier nicht so einfach zu erreichen. Insbesondere bei Therapie mit Nukleotid-/Nukleosidanaloga ist daher bei vielen Patienten eine Dauertherapie zur Unterdrückung der Virusreplikation erforderlich.

Speziell zur Therapie von Infektionen durch das Influenzavirus wurden Wirkstoffe dieser Teil-Indikationsgruppe entwickelt. Die Therapie muss allerdings sehr früh nach Auftreten der ersten Symptome begonnen werden oder wird als Postexpositionsprophylaxe durchgeführt.

Die Teil-Indikationsgruppe der Mittel bei Hepatitis D umfasst lediglich einen Wirkstoff. Er wird bei chronischer HDV-Infektion eingesetzt und hemmt die Virusvermehrung in den Leberzellen.

Therapieansätze

Die antiviralen Mittel zur systemischen Anwendung sind in den Teil-Indikationsgruppen verschiedenen Therapieansätzen zugeordnet. Die wichtigsten Teil-Indikationsgruppen sollen hier beschrieben werden. Die Therapieansätze der Nukleoside/Nukleotide sowie der Proteasehemmer finden sich in mehreren Teil-Indikationsgruppen.

Nukleoside bzw. Nukleotide (NRTI: nukleosidische/nukleotidische Hemmstoffe der reversen Transkriptase) sind der älteste Therapieansatz bei den antiviralen Mitteln. Es handelt sich dabei um sogenannte Antimetaboliten, ein Wirkprinzip, das auch in der Onkologie zur Anwendung kommt. Bei den Nukleosiden/Nukleotiden handelt es sich um abgewandelte Bausteine der DNA bzw. RNA, also entweder um Derivate von Adenosin, Cytosin, Guanosin, Thymidin, Uridin (Nukleoside) bzw. deren phosphorylierte Varianten (Nukleotide). Die abgewandelten Bausteine stören als falsche Bausteine die Replikation der Virus-DNA bzw. RNA und damit die Virusvermehrung und -ausbreitung. Einige der Wirkstoffe können in unterschiedlichem Ausmaß auch die DNA-Replikation menschlicher Zellen stören und daher relativ toxische Effekte haben.

Ein sehr wichtiges Protein des HIV ist die reverse Transkriptase (RT): Sie sorgt dafür, dass die Informationen der Virus-RNA in DNA umgeschrieben und dann dauerhaft in die Wirts-DNA integriert werden können. Eine Hemmung der RT ist einerseits durch die bereits erwähnten NRTI möglich. Daneben wurden auch Hemmstoffe der RT entwickelt, die auf einem anderen Wirkprinzip basieren und daher als nichtnukleosidische Inhibitoren der reversen Transkriptase (NNRTI) bezeichnet werden.

Bei einigen Viren ist während der Replikation eine Virusprotease von großer Bedeutung. Bei diesen Viren wird zunächst ein Polyprotein synthetisiert, das durch die Virusprotease kontrolliert in Funktions- und Strukturproteine zerlegt werden muss, damit die Virusvermehrung erfolgreich ablaufen kann. Durch spezifische Proteasehemmer kann dieser Prozess gehemmt werden. Proteasehemmer sind in der antiretroviralen Therapie sehr wichtig und werden zur Behandlung der chronischen Hepatitis C eingesetzt.

Ein weiteres allgemeines Wirkprinzip antiviraler Wirkstoffe ist die spezifische Hemmung von anderen Virusproteinen, die für die Virusvermehrung relevant sind. Zu solchen Therapieansätzen gehören die NS5B- bzw. NS5A-Hemmer gegen das Hepatitis-C-Virus (HCV) oder die Integrasehemmer gegen das HIV. NS5B z. B. ist eine RNA-Polymerase, die neue Virus-RNA synthetisiert. Die Integrase des HIV sorgt für den Einbau des Virusgenoms in die Wirts-DNA.

Für eine erfolgreiche Virusvermehrung müssen Viren von Zellen des infizierten Organismus aufgenommen werden, damit sie die Ausstattung der Zelle nutzen können. Wenn spezifische Schritte für diese Prozesse bekannt sind, können entsprechende Wirkstoffe, die an Strukturen des Wirts angreifen, entwickelt werden. Für die antiretrovirale Therapie sind dazu z. B. die CCR5-Antagonisten entwickelt worden. CCR5-Antagonisten richten sich gegen den CCR5-Rezeptor, der sich auf Leukozyten findet und an den das HIV andockt. Menschen mit einer bestimmten Mutation dieses Rezeptors sind gegen eine Infektion mit dem HIV natürlicherweise immun.