Innovationen und Trends in der onkologischen Arzneimitteltherapie

Veröffentlicht am: 20.09.16

Die klinische Entwicklung zu onkologischen Arzneimitteln begann unmittelbar nach dem Zweiten Weltkrieg. Seitdem sind immer wieder neue Wirkstoffe auf den Markt gebracht worden (s. Abschn. 4.1 und 4.2). Wie Abbildung 7 zeigt, war die Anzahl der jährlichen Neueinführungen von onkologischen Arzneimitteln im Zeitraum zwischen 1978 und 2000 gering und nur in wenigen Jahren größer als zwei. Ein solches Jahr war z. B. 1984 mit sieben Neueinführungen, von denen allein drei Meilensteine der endokrinen Therapie darstellen. Einen weiteren Gipfel gab es 1996/97 mit jeweils sechs jährlichen Neueinführungen, darunter der erste Aromatasehemmer und das erste Taxan. Etwa ab dem Jahr 2000 erhöhte sich das Niveau der jährlichen Neueinführungen (s. Abb. 7). Besonders hoch war die Anzahl in den letzten vier Jahren: Zwischen 2012 und 2015 wurden 34 neue Wirkstoffe eingeführt – das entspricht etwa der Gesamtzahl der Neueinführungen zwischen 1978 und 1996.

Damit ist auch an der Zahl der jährlichen Neueinführungen inzwischen unübersehbar, dass es in der Onkologie seit der Jahrtausendwende einen Innovationsschub gibt, der sich in den letzten Jahren nochmals verstärkt hat. Auch im Jahr 2016 wurden bis Ende Juli bereits fünf neue onkologische Arzneimittel auf den Markt gebracht.

Anzahl der jährlich eingeführten neuen onkologischen Arzneimittel im Zeitraum 1978–2015.
Quelle: IGES, eigene Recherchen

Quelle: IGES, eigene Recherchen

Der in den letzten Jahren zu beobachtende Innovationsschub ist nicht zuletzt Ergebnis der intensiven Grundlagenforschung auf dem Gebiet der molekularen Onkologie, die das Verständnis der Entstehung von Krebserkrankungen wesentlich erweitert und die Entwicklung zahlreicher neuer Therapieoptionen ermöglicht hat. Seit der Jahrtausendwende sind insbesondere sogenannte zielgerichtete Therapien entwickelt worden, Wirkstoffe also, die sich gezielt gegen spezifische Strukturen in bestimmten Krebszellen richten.

Für die nächsten Jahre wird erwartet, dass es einen Schub durch neue, spezifische Immuntherapien geben wird. Prinzipiell sind Immuntherapien seit vielen Jahren etabliert, spielten bisher aber nur bei wenigen Krebsarten eine Rolle. Zu nennen sind hier das bei Blasenkrebs angewendete BCG (Bacillus Calmette-Guérin, ursprünglich als Impfstoff gegen Tuberkulose eingesetzt) sowie die Anwendung von Interferon z. B. beim Melanom.

Von den neuen Immuntherapien erhofft man sich eine spezifischere und bessere Wirkung sowie breitere Einsatzmöglichkeiten. Hier sind besonders die sogenannten Checkpoint-Inhibitoren zu nennen. Sie greifen die Tumorzelle nicht direkt an, sondern beeinflussen die Immunantwort auf die Tumorzelle an den sogenannten „Immun-Checkpoints“, die im Normalfall eine Überfunktion des Immunsystems gegen gesunde Zellen verhindern sollen. Manche Tumorarten aktivieren diese Kontrollstellen und „bremsen“ damit die Immunreaktion gegen die Tumorzelle. Die Checkpoint-Inhibitoren wirken dem entgegen und sorgen dafür, dass das Immunsystem die Krebszellen verstärkt angreift. Inzwischen stehen mit Ipilimumab, Nivolumab und Pembrolizumab drei Checkpoint-Inhibitoren zur Verfügung. Weniger erfolgreich zeigte sich dagegen bislang die Entwicklung von Tumorvakzinen (Krebsimpfstoffen). Tumorvakzine richten sich gegen Antigene von Krebszellen, und ihre (oft individuelle) Herstellung ist sehr aufwendig.

Es ist davon auszugehen, dass in der Zukunft weitere zielgerichtete Therapien und Immunonkologika den Schwerpunkt bei den Neueinführungen bilden werden. Dabei werden sowohl die Variation bekannter Wirkprinzipien als auch Wirkstoffe, die sich gegen weitere „Ziele“ richten werden, eine große Rolle spielen.

Eine zunehmend wichtige Rolle dürfte die Genexpressionsanalyse von Tumorzellen spielen, um die Therapie noch stärker zu individualisieren. Mit dieser Analyse lässt sich bei Brustkrebs abschätzen, ob bei einer Patientin eine Chemotherapie notwendig ist oder darauf verzichtet werden kann. Im Rahmen der ambulanten spezialfachärztlichen Versorgung kann diese Diagnostik nun auch zulasten der GKV durchgeführt werden (G-BA 2016).

Möglichkeiten sieht man außerdem in der neuen CRISPR-Cas-Technologie, einem Werkzeug zur gezielten Bearbeitung des Genoms inkl. des Epigenoms (White und Khalili 2016, Khan et al. 2016). Allerdings ist noch nicht absehbar, ob sich diese Methode tatsächlich therapeutisch gegen Krebs einsetzen lassen wird.