Veröffentlicht am: 20.06.23
Die Einführung von Antibiotika zählt zu den bedeutenden Fortschritten der Medizin des 20. Jahrhunderts. Als erste moderne Stoffe, die antibakteriell wirksam sind und auch heute noch eingesetzt werden, stehen seit 1935 die von Domagk erstmals synthetisch hergestellten Sulfonamide zur Verfügung, die zu den Chemotherapeutika gezählt werden. Als Antibiotika wurden ursprünglich nur antibakteriell wirksame Naturstoffe bezeichnet, die von Pilzen oder Bakterien produziert wurden. Als erster dieser Stoffe wurde Penicillin im Jahr 1929 von Alexander Fleming im Schimmelpilz Penicillium notatum entdeckt. Erst über zehn Jahre später konnte Penicillin isoliert werden, und 1941 wurde es erstmals erfolgreich zur Behandlung einer Sepsis eingesetzt. Bereits während des Zweiten Weltkriegs wurde die Suche nach weiteren antibakteriellen Naturstoffen fortgesetzt, und es wurden weitere Antibiotika in anderen Pilzkulturen entdeckt. Als erstes Aminoglykosid wurde 1943 von Waksman und Bugie das Streptomycin isoliert, mit dem erstmals eine antibiotische Behandlung der Tuberkulose möglich wurde. 1947 folgte die Entdeckung des Chloramphenicols, ein Jahr später wurde mit Chlortetracyclin das erste Antibiotikum aus der Gruppe der Tetrazykline isoliert. 1952 folgte mit Erythromycin das erste Makrolid-Antibiotikum.
Die wichtigste Gruppe unter den Antibiotika sind die Betalaktam-Antibiotika. Zu dieser Gruppe gehören die Penicilline und die 1955 erstmals isolierten Cephalosporine. In den 70er-Jahren wurde die Clavulansäure entdeckt, ebenfalls ein Betalaktam, mit der die Inaktivierung von Penicillinen durch bestimmte Bakterien verhindert werden kann. Weitere Betalaktam-Antibiotika sind die 1985 eingeführten Carbapeneme, die das Spektrum nochmals deutlich erweiterten und vor allem im stationären Bereich zum Einsatz kommen.
Eine wichtige Gruppe von Antibiotika stellen auch die synthetischen Chinolone oder Gyrasehemmer dar. Ihre Entwicklung begann 1962 mit Entdeckung der Nalidixinsäure, die jedoch wegen der raschen Resistenzentwicklung heute klinisch nicht mehr relevant ist. Erst mit Einführung des ersten fluorierten Chinolons, dem Norfloxacin, begann die Erfolgsgeschichte dieser Wirkstoffgruppe, als deren Standardwirkstoff heute das 1987 eingeführte Ciprofloxacin gilt. Nach 2001 wurden noch einige weitere neue Wirkstoffgruppen entwickelt, die jedoch von untergeordneter Bedeutung sind.
Der breite Einsatz von Antibiotika hat durch die Entwicklung von zahlreichen Resistenzen zu teilweise erheblichen Problemen geführt, sodass es heute insbesondere unter den Erregern der Tuberkulose und bei den Staphylokokken multiresistente Stämme gibt, die sehr schwer zu bekämpfen sind. Daher wird weiterhin nach neuen Antibiotika und antibakteriell wirksamen Stoffen gesucht. Jedoch ist die Zahl neuer antibiotischer Wirkstoffe heute sehr viel geringer als in der Vergangenheit. Während im Zeitraum zwischen 1981 und 2000 insgesamt 45 neue Antibiotika auf den Markt kamen, waren es zwischen 2001 und 2020 nur 14 neue Wirkstoffe. Diese Entwicklung hat nicht zuletzt finanzielle Hintergründe: Jedes neu entwickelte Antibiotikum ist in der Regel ein Reservemittel, dass nur dann eingesetzt werden soll, wenn die Standardtherapien versagen bzw. es um die Behandlung resistenter Erreger geht. Für pharmazeutische Unternehmen lohnt sich daher die Entwicklung kaum: Aufgrund des geringen Verbrauchs bleiben die Umsätze gering und Forschungs- und Entwicklungskosten können nur unzureichend amortisiert werden. Mittlerweile wurde politisch interveniert, um die Entwicklung von Antibiotika zu unterstützen, bis 2020 z. B. mit Kapitalhilfe durch die EIB (Europäische Investitionsbank). Auch die Nutzenbewertung nach § 35a SGB V wurde angepasst: Mit dem Gesetz für einen fairen Kassenwettbewerb in der gesetzlichen Krankenversicherung (GKV-FKG) gilt seit dem 1. April 2020, dass Reserveantibiotika von der Nutzenbewertung befreit sind.
Zwischen 2017 und 2021 sind in der Indikationsgruppe der Antibiotika drei neue Wirkstoffe bzw. Kombinationen eingeführt worden. Die 2021 neu eingeführten Antibiotika wurden als Reserveantibiotika anerkannt und müssen im Nutzenbewertungsverfahren nach § 35a SGB V keine Nachweise zum medizinischen Nutzen und Zusatznutzen vorlegen.
Wichtigster Therapieansatz unter den Antibiotika sind die Penicilline mit erweitertem Wirkspektrum, gefolgt von den Cephalosporinen der zweiten Generation. Penicilline und Cephalosporine sind Betalaktam-Antibiotika und töten Bakterien ab, indem sie deren Zellwandsynthese hemmen. Die ambulant am häufigsten verordneten Wirkstoffe sind Amoxicillin und Cefuroxim. Für den Therapieansatz der Tetrazykline ist in erster Linie das Doxycyclin zu nennen. Tetrazykline hemmen die Proteinbiosynthese von Bakterien und haben ein sehr breites Wirkspektrum. Sie wirken allerdings nur batkeriostatisch, d. h., dass sie die Vermehrung von Bakterien hemmen, sie aber nicht abtöten. Penicilline in Kombination mit Betalaktamase-Inhibitoren erweitern das Wirkspektrum von Penicillinen. Am häufigsten kommt Amoxicillin in Verbindung mit Clavulansäure zum Einsatz. Alle Betalaktam-Antibiotika besitzen einen sogenannten Betalaktamring. Viele Bakterienarten sind in der Lage, diesen Betalaktamring mithilfe des Enzyms Betalaktamase aufzubrechen und so das Antibiotikum unwirksam zu machen. Durch einen Betalaktamase-Inhibitor wie z. B. Clavulansäure wird dies verhindert. Als weiterer Therapieansatz sind die Makrolide zu nennen mit Azithromycin als wichtigstem Vertreter. Wie die Tetrazykline wirken auch die Makrolide bakteriostatisch durch Hemmung der Proteinbiosynthese von Bakterien.