Veröffentlicht am: 03.07.18
Teil-Indikationsgruppe | Verbrauch in Mio. DDD | |||||||||||
2006 | 2007 | 2008 | 2009 | 2010 | 2011 | 2012 | 2013 | 2014 | 2015 | 2016 | ||
HIV | 21,5 | 22,8 | 24,4 | 26,4 | 28,3 | 29,8 | 31,3 | 32,8 | 34,1 | 34,2 | 35,0 | |
Herpes | 3,4 | 3,7 | 3,9 | 4,1 | 4,2 | 4,4 | 4,6 | 4,8 | 5,1 | 5,3 | 5,6 | |
Hepatitis B | 0,1 | 0,6 | 1,3 | 1,7 | 1,9 | 2,1 | 2,2 | 2,3 | 2,6 | 2,7 | 2,8 | |
Hepatitis C | 2,0 | 1,8 | 2,0 | 2,1 | 1,9 | 1,7 | 2,6 | 1,5 | 1,8 | 2,8 | 1,8 | |
CMV (Zytomegalievirus) | 0,2 | 0,3 | 0,3 | 0,3 | 0,4 | 0,4 | 0,4 | 0,4 | 0,4 | 0,4 | 0,4 | |
Influenza | 0,2 | 0,4 | 0,3 | 1,8 | 0,1 | 0,3 | 0,1 | 0,4 | 0,0 | 0,2 | 0,1 | |
Virusinfektionen | 0,03 | 0,03 | 0,03 | 0,03 | 0,03 | 0,03 | 0,03 | 0,02 | 0,03 | 0,03 | 0,0 | |
Quelle: IGES-Berechnungen nach NVI (INSIGHT Health); ab 2011 inkl. Zubereitungen |
Die antiviralen Mittel zur systemischen Anwendung gehören zu den selten verordneten Arzneimitteln, von denen jedem Versicherten der GKV 2016 im Durchschnitt 0,6 DDD verordnet wurden.
Der Verbrauch von antiviralen Mitteln war 2016 siebenfach höher als 1996. Der Wachstumsverlauf seit 1996 zeigt in manchen Jahren auch Stagnation, kann insgesamt jedoch als stetig angesehen werden. In diesem Zeitraum lag das mittlere Wachstum bei 2 Mio. DDD jährlich. Für das Jahr 2016 ist wieder eine Stagnation festzustellen und der Verbrauch war mit 45,7 Mio. DDD genauso hoch wie im Vorjahr.
Auf die Teil-Indikationsgruppen der Mittel bei HIV/Aids entfielen 2016 über 76 % des Verbrauchs der Indikationsgruppe insgesamt. Für die Mittel bei HIV/Aids war im hier dargestellten Zeitraum seit 2006 ein sehr stetiges Verbrauchswachstum von 1,3 Mio. DDD jährlich zu beobachten, dass jedoch inzwischen Tendenzen der Abschwächung zeigt. Das stetige Wachstum erklärt sich durch den Erfolg der Therapie: Durch die antiretrovirale Kombinationstherapie wurde die HIV-Infektion, die ohne Therapie in der Regel zur Ausbildung von Aids mit tödlichem Ausgang führt, zu einer chronischen Erkrankung, die allerdings eine lebenslange Therapie voraussetzt. Dies führte zu einer noch anhaltenden Sockelbildung durch neu hinzukommende Patienten. 2015 war mit 0,1 Mio. DDD im Vergleich zum Vorjahr der niedrigste Zuwachs festzustellen und 2016 wurde mit einem Zuwachs von 0,8 Mio. DDD der zweitniedrigste Wert beobachtet. Es bleibt in den nächsten Jahren abzuwarten, ob sich damit die Ausbildung eines stabilen Verbrauchs im Sinne eines „Steady State“ abzeichnet.
Alle übrigen Teil-Indikationsgruppen haben sehr viel geringeren Anteil am Verbrauch der antiviralen Mittel insgesamt, nämlich 12,1 % die Mittel gegen Herpesviren, sowie 6,2 % und 3,9 % die Mittel zur Behandlung der Hepatitis B bzw. C. Stetige Verbrauchssteigerungen gab es für die Teil-Indikationsgruppen der Mittel gegen Herpesviren, gegen Hepatitis-B-Viren sowie gegen Zytomegalievirus. Über die Ursachen für den Verbrauchsanstieg bei Mitteln gegen Herpesviren und CMV kann nur spekuliert werden. Möglicherweise ist die Zahl der Patienten mit Behandlungsbedarf gestiegen. Es gibt verschiedene Hinweise, dass dies z.B. für den Herpes zoster („Gürtelrose“) zutreffen könnte, wobei sich dadurch der seit 2006 immerhin um das 1,6-Fache gestiegene Verbrauch nur zum Teil erklären lässt. Einerseits steigt die Inzidenz des Herpes zoster mit zunehmendem Alter (Ultsch et al. 2011), so dass schon aufgrund des stetig steigenden Anteils älterer Menschen in der GKV auch mit einer steigenden Zahl von Zosterfällen zu rechnen ist. Außerdem könnte die seit 2004 empfohlene Varizellenimpfung zu einem Anstieg der Zosterfälle geführt haben. Zu diesem Schluss kommt eine Modellrechnung von Horn et al. (2016).
Der Verlauf für den Verbrauch der Mittel bei Hepatitis C zeigt sich bis 2011 weitgehend stabil. 2012 stieg der Verbrauch – im Vergleich zur Vergangenheit – stärker an, was auf die Neueinführung der Proteasehemmer (Boceprevir und Telaprevir) zurückzuführen ist. In Erwartung noch effektiverer Wirkstoffe und einer insgesamt verträglicheren Therapie durch weitere Neueinführungen ging der Verbrauch 2013 deutlich zurück. Seit 2014 wurden die erwarteten neuen Wirkstoffe eingeführt und lösten den beobachteten Verbrauchsanstieg aus. Im Jahr 2015 erreichte der Verbrauch von Mitteln bei Hepatitis C mit 2,8 Mio. DDD sein Maximum, doch ging 2016 der Verbrauch wieder auf 1,8 Mio. DDD zurück. Es spricht sehr viel dafür, dass der hohe Verbrauch im Jahr 2015 einen Nachholeffekt anzeigt, da vermutlich in Erwartung der neuen Therapiemöglichkeiten die Behandlung bei vielen Patienten zurückgestellt wurde.
In der Teil-Indikationsgruppe der Mittel zur Behandlung der chronischen Hepatitis C zeigte sich zwischen 2012 und 2016 erneut eine sehr dynamische Entwicklung. Der Verbrauchsanteil des bisher dominierenden Ansatzes der Nukleoside (mit dem Wirkstoff Ribavirin) ging von 43,7 % auf 18,2 % zurück. Ebenfalls deutlich zurück ging der Anteil der Proteasehemmer mit den 2011 eingeführten Wirkstoffen Boceprevir und Telaprevir sowie dem 2014 eingeführten Simeprevir. 2016 lag der Anteil dieses Therapieansatzes nur noch bei 0,4 %, während er 2014 noch 7,8 % erreichte.
Dagegen verzeichneten die Kombinationen gegen Hepatitis C vor allem durch die Einführung von Ledipasvir/Sofosbuvir im Dezember 2014 einen sehr starken Verbrauchsanstieg. Während der Anteil der Kombinationen 2014 noch bei 2,6 % lag, stieg er bis 2016 auf 48,1 % an. Der übrige Verbrauch verteilte sich sehr ungleich auf die 2014 eingeführten neuen Therapieansätze der NS5B-Hemmer (24 %) und NS5A-Hemmer (9,3 %). Der Therapieansatz der NS5B-Hemmer umfasste 2014 nur den Wirkstoff Sofosbuvir, 2015 kam das Dasabuvir dazu. Der Rückgang der NS5B-Hemmer wurde kompensiert durch den Anstieg der Kombinationen, da Sofosbuvir vermehrt als Bestandteil der Fixkombination mit Ledipasvir verordnet wurde.
Die bei Hepatitis C eingesetzten Wirkstoffe, werden zwar unterschiedlichen Therapieansätzen zugeordnet, dennoch werden die Wirkstoffe hier gemeinsam betrachtet, da sie einerseits in unterschiedlichen Kombinationen untereinander eingesetzt werden und andererseits sich die Entwicklung der letzten Jahre einfacher unter Betrachtung aller verfügbaren Wirkstoffe erklären lässt. Lediglich Peginterferon alpha wird hier nicht berücksichtigt, da es zu einer anderen Indikationsgruppe (L03) gehört.
Am auffälligsten ist im betrachteten Zeitraum 2014–2016 der Rückgang der Verbrauchsanteile von Ribavirin von rund 44 auf 18 % sowie der Proteasehemmer Boceprevir und Telaprevir von gemeinsamen rund 3 auf nur noch 0,01 %. Die Anwendung von Boceprevir und Telaprevir wird nicht mehr empfohlen (Sarrazin et al. 2015). Von den neuen Wirkstoffen hatte Sofosbuvir (als Monozubereitung und in fixer Kombination mit Ledipasvir bzw. Velpatassvir) mit rund 50 % den höchsten Anteil. Simeprevir und Daclatasvir werden aktuell in Kombination mit Sofosbuvir und ggf. Ribavirin empfohlen. Die Kombinationstherapie Ombitasvir, Paritaprevir und Ritonavir wurde 2015 eingeführt und erreichte bereits einen Anteil von 9,6 %. Das 2015 eingeführte Dasabuvir wird mit Ombitasvir, Paritaprevir und Ritonavir sowie ggf. zusätzlich mit Ribavirin verabreicht. Die Fixkombination Elbasvir und Grazoprevir kann ohne weitere Kombinationspartner eingesetzt werden.
Ursache für die tiefgreifenden Veränderungen sind die zahlreichen Neueinführungen im Jahr 2014 und 2015, durch welche die therapeutischen Möglichkeiten grundlegend geändert wurden. Da die neuen Wirkstoffe einen Verzicht auf Interferon und teilweise auch Ribavirin ermöglichen, die Therapiezeiten kürzer, Wirksamkeit und Verträglichkeit sehr viel besser sind, erfolgte eine rasche Umstellung der angewendeten Therapieschemata. Dieses Vorgehen entspricht einem aktuellen Addendum zur S3-Leitlinie, in dem die Anwendung Interferon-basierter Therapieregime nicht mehr empfohlen wird (Sarrazin et al. 2015).