Lebenszyklus der Mittel zur Behandlung der Hypertonie

Veröffentlicht am: 15.04.19

Am Beispiel der Mittel zur Behandlung der Hypertonie soll gezeigt werden, wie sich Innovationszyklen auf einer höheren Aggregationsebene darstellen. Die unteren Abbildungen fassen die Entwicklung der ausgewählten Wirkstoffgruppen (s. u.) zusammen und stellen den Lebenszyklus für den Zeitraum 1986–2017 dar, aufgeteilt nach Umsatz, Verbrauch und Preis.

IGES-Berechnungen nach AVR (1986 bis 2004) und NVI (Insight Health) ab 2005; AVR: Arzneiverordnungs-Report
IGES-Berechnungen nach AVR (1986 bis 2004) und NVI (Insight Health) ab 2005; AVR: Arzneiverordnungs-Report
IGES-Berechnungen nach AVR (1986 bis 2004) und NVI (Insight Health) ab 2005; AVR: Arzneiverordnungs-Report

Der Verlauf der Umsatzkurve erinnert dabei stark an den idealtypischen Zyklusverlauf (siehe Hintergrund). Der Scheitelpunkt der Umsatzkurve ist im Jahr 2004 zu beobachten und liegt bei einem Wert von 2.535 Mio. Euro netto (AVP). In den Folgejahren steigt der Verbrauch weiterhin stark an und hat 2017 noch kein eindeutiges Plateau erreicht. Der Umsatz sinkt jedoch sukzessive ab und verharrt ab dem Jahr 2014 auf einem nahezu konstanten Niveau. Was auf Wirkstoffebene für Amlodipin als einem Vertreter der Mittel gegen Bluthochdruck bereits beobachtet werden konnte (Zyklus Amlodipin), zeigt sich auch in der höheren Aggregationsstufe für die Entwicklung von Umsatz, Verbrauch und Preis.

Die Verbrauchsentwicklung der Mittel zur Behandlung von Hypertonie verzeichnet zunächst ein mäßiges Wachstum, welches durch hohe Preise gedämpft wird. Im Zeitraum zwischen 2000 und 2009 zieht das Wachstum deutlich an. Ab dem Jahr 2009 verläuft die Verbrauchsentwicklung zögerlicher und geht in eine Sättigung über, die bislang noch nicht abgeschlossen ist.

Der Preis entwickelt sich gegenläufig zum Verbrauch. Das ehemals hohe Preisniveau – umgerechnet im Mittel 1,5 Euro je DDD im Jahr 1986 – sinkt in den ersten Jahren rapide ab. Zwischen 1992 und 2004 ist ein nahezu stetiger Preisrückgang zu beobachten, der sich nach 2004 nochmals beschleunigt. Seit dem Jahr 2008 ist aber auch hier eine Stagnation zu beobachten, und so erreicht der mittlere Umsatz je DDD im Jahr 2017 einen Wert von 0,13 Euro, weniger als ein Zehntel des Ausgangswerts. Die stabilen Preis- und Mengenentwicklungen determinieren wiederum die Umsatzentwicklungen in jüngster Vergangenheit und führen zu einem Nettoumsatz von 1,6 Milliarden Euro (AVP) im Jahr 2017. Die Arzneimittel zur Behandlung der Hypertonie stellen somit einen anhaltend großen Versorgungsbedarf sicher.

Da es, wie in der Einführung dieses Kapitels bereits beschrieben, innerhalb einer Indikationsgruppe zu Überlagerungen der Zyklen einzelner Wirkstoffe und Wirkstoffgruppen kommt, sollen besonders relevante Gruppen der Mittel zur Behandlung der Hypertonie gesondert betrachtet werden.

Im Arzneimittel-Atlas bilden die Mittel zur Behandlung der Hypertonie (Bluthochdruck) eine Indikationsgruppe (C02–C09), die sich aus fünf Teil-Indikationsgruppen zusammensetzt. Diese Teil-Indikationsgruppen teilen sich in verschiedene Therapieansätze mit zahlreichen Wirkstoffen auf. Die nachfolgende Betrachtung schließt insgesamt die folgenden sieben Therapieansätze ein: Low-Ceiling-Diuretika, High-Ceiling-Diuretika, Betablocker, Calciumkanalblocker, ACE-Hemmer, Aldosteronantagonisten und Sartane. Aus historischen Gründen wurden die Calciumkanalblocker nochmals unterteilt in kurz wirksam und lang wirksam.

Die Umsatzentwicklungen der genannten Therapieansätze sind in den folgenden Abbildungen dargestellt.

IGES-Berechnungen nach AVR (1996 bis 2004) und NVI (Insight Health) ab 2005; AVR: Arzneiverordnungs-Report
IGES-Berechnungen nach AVR (1996 bis 2004) und NVI (Insight Health) ab 2005; AVR: Arzneiverordnungs-Report
IGES-Berechnungen nach AVR (1996 bis 2004) und NVI (Insight Health) ab 2005; AVR: Arzneiverordnungs-Report
IGES-Berechnungen nach AVR (1996 bis 2004) und NVI (Insight Health) ab 2005; AVR: Arzneiverordnungs-Report
IGES-Berechnungen nach AVR (1996 bis 2004) und NVI (Insight Health) ab 2005; AVR: Arzneiverordnungs-Report
IGES-Berechnungen nach AVR (1996 bis 2004) und NVI (Insight Health) ab 2005; AVR: Arzneiverordnungs-Report
IGES-Berechnungen nach AVR (1996 bis 2004) und NVI (Insight Health) ab 2005; AVR: Arzneiverordnungs-Report
IGES-Berechnungen nach AVR (1996 bis 2004) und NVI (Insight Health) ab 2005; AVR: Arzneiverordnungs-Report

Die Umsatzverläufe der acht Therapieansätze zeigen alle mehr oder weniger ausgeprägte Höhepunkte in der Reifephase (Peaks) mit anschließendem Umsatzrückgang. Das lässt darauf schließen, dass es in allen Gruppen im betrachteten Zeitraum Innovationszyklen gegeben haben muss, die mittlerweile abgeschlossen sind bzw. sich dem Ende neigen. Dies soll für die einzelnen Therapieansätze kurz im Einzelnen beleuchtet werden.

  • Low-Ceiling-Diuretika: Hier hat es tatsächlich im betrachteten Zeitraum keinerlei Innovation gegeben. Allerdings ist insbesondere der Verbrauch und Umsatz des Wirkstoffs Hydrochlorothiazid stark gestiegen. Dieser Anstieg ist bedingt durch die steigende Versorgung mit Mitteln zur Behandlung der Hypertonie: Diuretika werden häufig in Kombination mit anderen Mitteln gegen Hypertonie gegeben. In den letzten Jahren ist die Bedeutung dieser Diuretika leicht zurückgegangen.
  • High-Ceiling-Diuretika: Der hier zu beobachtende Innovationszyklus ist auf das 1992 eingeführte Torasemid zurückzuführen. Dieser Wirkstoff ist mittlerweile generisch verfügbar und gewinnt gegenüber dem Standardwirkstoff Furosemid immer höhere Marktanteile. Der Umsatzrückgang für die High-Ceiling-Diuretika nach 2004 ist hauptsächlich bedingt durch die Einführung von Torasemid-Generika.
  • Betablocker: Bei den Betablockern gab es zwar im Beobachtungszeitraum einige Neueinführungen, doch erklären diese nicht den beobachteten Verbrauchs- und damit Umsatzanstieg zwischen 1994 und 2005. Dieser Anstieg setzte erst ein, nachdem die beiden wichtigsten Vertreter der Gruppe (Metoprolol und Bisoprolol) generisch verfügbar waren, seit 1990 bzw. 1996. Die Verfügbarkeit von Generika führte zwar zu leicht rückläufigen Preisen, nicht aber zu einem drastischen Preiswettbewerb. Dieser setzte erst ab 2004 ein und war Auslöser für den ab dann zu beobachtenden Umsatzrückgang. Der enorme Anstieg von Verbrauch und Umsatz fällt außerdem zusammen mit der Publikation von Studienergebnissen, die zeigen, dass Betablocker bei Herzinsuffizienz von Vorteil sind. Betablocker galten lange Zeit bei Herzinsuffizienz als kontraindiziert. Insofern ist der Umsatzverlauf durchaus auch Ausdruck eines Innovationszyklus in dem Sinne, dass ein neues Anwendungsgebiet erschlossen wurde.
  • Calciumkanalblocker, kurz wirksam: Für diese Gruppe sind im Beobachtungszeitraum die Reife- und die Sättigungsphase zu erkennen. Darüber hinaus sind die kurz wirksamen Calciumkanalblocker der einzige hier betrachtete Therapieansatz mit eindeutiger Niedergangsphase. Die Wirkstoffe wurden durch andere verdrängt, insbesondere die lang wirksamen Calciumkanalblocker.
  • Calciumkanalblocker, lang wirksam: Für diesen Therapieansatz stellt der Umsatzverlauf ebenfalls einen Innovationszyklus dar. Aufgrund der langen Wirksamkeit sind diese Wirkstoffe vorteilhafter als die kurz wirksamen Calciumkanalblocker. Es wurden zwischen 1986 und 2017 zahlreiche langwirksame Calciumkanalblocker eingeführt, insbesondere in den 1990er-Jahren, als der Umsatz am stärksten stieg. Der Verbrauch ist mit Stand 2017 weiterhin steigend, wenn auch inzwischen im Sättigungsbereich. Der Umsatz ging – bei stark steigendem Verbrauch – nach Einführung von Amlodipin-Generika im Jahr 2003 zurück und erreichte ein Plateau. Amlodipin ist mit Stand 2017 der dominierende Wirkstoff der Gruppe.
  • ACE-Hemmer: Der Umsatzverlauf für die ACE-Hemmer kennzeichnet ebenfalls einen Innovationszyklus. Der erste ACE-Hemmer wurde 1981 eingeführt und revolutionierte die Behandlung der Hypertonie. Der erste Peak in der Umsatzkurve kennzeichnet die in wenigen Jahren stark gewachsene Bedeutung der ACE-Hemmer: Der Verbrauch ist im gesamten Betrachtungszeitraum immer gestiegen. Der ab 1995 einsetzende Umsatzrückgang ist auf einen Preisrückgang bedingt durch die ersten Generika zurückzuführen. Der weiter steigende Verbrauch führte jedoch zwischenzeitlich zu einem erneuten Umsatzanstieg, der erst 2004 gebrochen wurde, als Generika für den heute dominierenden ACE-Hemmer Ramipril eingeführt wurden.
  • Aldosteronantagonisten: Der Zyklus für die Aldosteronantagonisten beginnt scheinbar 1996. Dies ist jedoch ein Artefakt. Der Therapieansatz ist deutlich älter, doch finden sich in der zugrunde liegenden Quelle erst ab dem Jahr 1996 Angaben zu Verbrauch und Umsatz. Das zunehmende Verbrauchs- und damit Umsatzwachstum ist dadurch bedingt, dass bestimmte Vorteile für den ersten Aldosteronantagonisten, das Spironolacton, erst in diesem Zeitraum gezeigt wurden. Der nach einem Umsatzpeak im Jahr 1996 folgende Umsatzrückgang ist Folge eines einsetzenden Preisverfalls, da der Wirkstoff längst generisch verfügbar war. Überlagert wird diese Entwicklung durch die Einführung von Eplerenon im Jahr 2004. Eplerenon stand nicht in Konkurrenz zu Spironolacton und führte bis 2014 zu einem Umsatzanstieg. Seitdem sind Generika für Eplerenon verfügbar, sodass der Umsatzanstieg gebremst wurde.
  • Sartane: Auch für die Sartane spiegelt der Umsatzverlauf einen Innovationszyklus wider. Sartane haben eine ähnliche Wirkung wie ACE-Hemmer, doch treten bestimmte Nebenwirkungen unter der Therapie nicht auf. Dies erklärt den Erfolg des Therapieansatzes, für den der Umsatz bis 2010 stieg. Seit 2010 wurden die Sartane nach und nach generisch verfügbar, was zu einem Umsatzrückgang trotz weiterhin steigenden Verbrauchs führte. Der Preisverfall hat jedoch rasch einen Boden erreicht, sodass der weiterhin steigende Verbrauch mit Stand 2017 wieder zu leicht steigenden Umsätzen führt.

In der Summe entsteht also, bedingt durch die Überlagerungseffekte der Therapieansätze, eine Umsatzentwicklung, die stark der eines idealtypischen Lebenszyklus ähnelt – wie in Abschnitt 5.1 beschrieben. Für die Ausgaben bedeutet der gesamte für die Mittel bei Hypertonie beobachtete Zyklus, dass sie trotz weiterhin steigenden Verbrauchs zwischenzeitlich massiv gesunken sind und sich inzwischen auf einem deutlich niedrigeren Niveau als zuvor eingependelt haben. Erst durch einen erneut überlagert auftretenden Innovationszyklus innerhalb dieser Indikationsgruppe würden die Umsätze wieder deutlich steigen.