Entwicklung des Verbrauchs

Veröffentlicht am: 11.09.17

Der Verbrauch von Arzneimitteln bei MS hat sich in den letzten zehn Jahren mehr als verdoppelt. Seit 2011 sind vier neue Wirkstoffe für die Anwendung bei MS zu-gelassen worden. Um möglichst alle Facetten dieser dynamischen Entwicklung abzubilden, wurden die Informationen zum Verbrauch von Wirkstoffen bei MS wie folgt gegliedert:

  • Die Verbrauchsentwicklung aller Wirkstoffe seit 2005 wird gemeinsam betrachtet.
  • Seit 2006 steht mit Natalizumab der erste spezifische Wirkstoff zur Behandlung von hochaktiven Verlaufsformen zur Verfügung, dem seither zwei weitere Wirkstoffe zur Anwendung (hoch-)aktiver Verlaufsformen folgten. Die Verbrauchsentwicklung wird daher entsprechend der Anwendung der Wirkstoffe bei milden bis moderaten bzw. (hoch-)aktiven Verlaufsformen dargestellt.
  • Die Anteile der Wirkstoffe innerhalb der Untergruppen von Arzneimitteln die bei milden bis moderaten bzw. (hoch-)aktiven Verlaufsformen eingesetzt werden, haben sich in den letzten Jahren deutlich verschoben, was in entsprechenden Darstellungen gezeigt und erläutert wird.

Verbrauch von Wirkstoffen zur Therapie der Multiplen Sklerose

Der Verbrauch von Wirkstoffen bei MS hat sich im Zeitraum zwischen 2005 und 2014 mehr als verdoppelt und lag 2014 bei 28,3 Mio. DDD. Das Wachstum verlief bis 2013 sehr stetig und betrug jährlich zwischen 1,3 und 1,9 Mio. DDD mit einem Mittelwert von 1,5 Mio. DDD. 2014 machte der Verbrauch einen Sprung um 3,9 Mio. DDD nach oben, der überwiegend der Einführung von Dimethylfumarat zuzuschreiben ist.
Die stetige Verbrauchsentwicklung wurde bis 2012 überwiegend getragen von den Beta-Interferonen und Glatirameracetat. 2013 jedoch schwächte sich das Verbrauchswachstum für diese Wirkstoffe ab und 2014 ging es sogar zurück – bei den Beta-Interferonen um 9,6 %, bei Glatirameracetat um 4,7 %. Ein besonders kräftiges Wachstum zeigten die Wirkstoffe Fingolimod und Dimethylfumarat.

Quelle: IGES-Berechnungen nach NVI-Daten (Insight Health)

Verbrauch (DDD) von Wirkstoffen bei MS im Zeitraum 2005 bis 2014

Wirkstoff Verbrauch in Mio. DDD
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Beta-Interferone 9,81 10,66 11,33 12,02 12,80 13,19 13,77 14,39 14,61 13,20
Glatirameracetat 2,53 2,95 3,28 3,80 4,39 4,97 5,26 5,58 5,81 5,54
Natalizumab 0,06 0,50 1,08 1,31 1,35 1,52 1,63 1,74 1,80
Fingolimod 0,51 1,35 2,18 3,18
Teriflunomid 0,14 1,20
Alemtuzumab 0,01 0,06
Dimethylfumarat 3,35
Gesamt 12,34 13,67 15,10 16,90 18,50 19,51 21,05 22,95 24,49 28,34

Quelle: IGES-Berechnungen nach NVI-Daten (Insight-Health)

Verbrauch von Mitteln bei Multipler Sklerose entsprechend Anwendung

Quelle: IGES-Berechnungen nach NVI (Insight Health)

Verbrauch (DDD) von Wirkstoffen bei MS entsprechend Anwendung im Zeitraum 2005 bis 2014

Wirkstoff Verbrauch in Mio. DDD
2005 2006 2007 2008 2009 2010 2011 2012 2013 2014
Mild/moderate Verlaufsform 12,3 13,6 14,6 15,8 17,2 18,2 19,0 20,0 20,6 23,3
(Hoch)aktive Verlaufsform 0,1 0,5 1,1 1,3 1,3 2,0 3,0 3,9 5,0

Quelle: IGES-Berechnungen nach NVI-Daten (Insight-Health)

Betrachtet man die Verbrauchsentwicklung danach, ob die Wirkstoffe bei milden bis moderaten oder bei (hoch-)aktiven Verlaufsformen der MS angewendet werden, so ergibt sich das oben dargestellte Bild.

Der Verbrauch von Arzneimitteln, die bei milden bis moderaten Verlaufsformen der MS (überwiegend der schubförmig remittierenden MS) eingesetzt werden, hat sich zwischen 2005 und 2014 etwa verdoppelt. Seit 2010 begann der Verbrauch sich abzuschwächen, machte jedoch 2014 wieder einen Sprung nach oben. Dieser Verbrauchssprung ist auf die Einführung von Dimethylfumarat zurückzuführen. Der stetig steigende Verbrauch in den vergangenen Jahren ist im Wesentlichen zwei Ursachen zuzuschreiben: Zum einen wurde die MS häufiger diagnostiziert, was modernen diagnostischen Verfahren und deren steigender Verfügbarkeit, insbesondere der Magnetresonanztomographie (MRT) zuzuschreiben ist, aber auch zwischenzeitlich geänderten diagnostischen Kriterien (Höer et al. 2014). Zum anderen wird inzwischen die immunmodulatorische Frühtherapie der MS als „neues Paradigma“ empfohlen (DGN 2014). Das heißt, die Therapie beginnt heute unter Umständen bereits im Stadium des klinisch isolierten Syndroms (KIS), also noch bevor ein zweiter Schub festgestellt wurde.

Der Verbrauch von Wirkstoffen, die bei (hoch-)aktiven Verlaufsformen eingesetzt werden, spiegelt bis 2010 allein die Entwicklung für den Wirkstoff Natalizumab wider. In diesem Jahr erreichte die Verbrauchsentwicklung ein Plateau, erfuhr mit der Einführung von Fingolimod im Jahr 2011 jedoch eine neue Dynamik und zeigt seitdem eine deutlich steilere Verbrauchsentwicklung. Vor Einführung von Natalizumab, Fingolimod und Alemtuzumab standen keine spezifisch für die schweren bzw. (hoch-)aktiven Verlaufsformen der RRMS zugelassenen Wirkstoffe zur Verfügung. Die Patienten mussten entweder – in der Regel unzureichend – mit Beta-Interferonen bzw. Glatirameracetat behandelt werden oder es musste eine Therapieeskalation mit insbesondere Mitoxantron durchgeführt werden. Mitoxantron ist ein Zytostatikum und die Anwendung mit besonderen Risiken behaftet. Zudem ist die Anwendung auf eine kumulative Gesamtdosis beschränkt. Die Verbrauchsentwicklung der Wirkstoffe, die bei (hoch-)aktiven Verlaufsformen eingesetzt werden, zeigt somit einerseits den Bedarf an, der durch den nun möglichen Verzicht auf Mitoxantron entstand. Darüber hinaus dürfte die Verfügbarkeit der spezifischen Eskalationstherapeutika auch dazu geführt haben, dass eine Eskalation heute frühzeitiger begonnen wird.

Mittel bei Multipler Sklerose zur Anwendung bei milden oder moderaten Verlaufsformen – Anteile der Therapieansätze (2012–2014)

Quelle: IGES-Berechnungen nach NVI (Insight Health)

Anteile an verordneten DDD bei Therapieansätzen zur Behandlung milder und moderater Verlaufsformen der Multiplen Sklerose für 2012 bis 2014

Therapieansatz Anteil DDD am Verbrauch (%)
2012 2013 2014
Beta-Interferone 72,1 71,1 56,7
Glatirameracetat 27,9 28,3 23,8
Fumarsäureester: Dimethylfumarat 14,4
Pyrimidinsynthesehemmer: Teriflunomid 0,7 5,2

Quelle: IGES-Berechnungen nach NVI-Daten (Insight Health)

Im Jahr 2012 standen für die immunmodulatorische Behandlung von milden bis moderaten Verlaufsformen der MS die etablierten Standardtherapien Beta-Interferone und Glatirameracetat zur Verfügung, deren Wirkung als gleichwertig angesehen wird (DGN 2014). Der Verbrauchsanteil der Beta-Interferone lag bei rund 72%, der von Glatirameracetat bei 28%. Die Einführung des Pyrimidinsynthesehemmers Teriflunomid im Jahr 2013 brachte kaum Bewegung in die Verbrauchsanteile; 2014 erreichte der Wirkstoff einen Anteil von 5,2%. Zu deutlichen Verschiebungen führte die Einführung von Dimethylfumarat im Jahr 2014, auf das bereits im ersten Marktjahr gut 14% des Verbrauchs entfielen. Dies ging besonders zu Lasten der Beta-Interferone, deren Anteil auf unter 57% zurückging.

Beta-Interferone und Glatirameracetat müssen regelmäßig gespritzt werden, währen Teriflunomid und Dimethylfumarat oral angewendet werden. Da zeit-gleich mit der Einführung von Dimethylfumarat nicht nur die Verbrauchsanteile, sondern auch der absolute Verbrauch von Beta-Interferonen und Glatirameracetat zurückgingen, muss davon ausgegangen werden, dass Patienten von der parenteralen auf die orale Anwendung gewechselt haben, die orale Darreichungsform also nicht nur bei Neueinstellung eine attraktivere Option ist.

Mittel bei Multipler Sklerose zur Anwendung bei (hoch-)aktiven Verlaufsformen – Anteile der Therapieansätze (2012–2014)

Quelle: IGES-Berechnungen nach NVI (Insight Health)

Anteile an verordneten DDD bei Therapieansätzen zur Behandlung (hoch)aktiver Verlaufsformen der Multiplen Sklerose für 2012 bis 2014

Therapieansatz Anteil DDD am Verbrauch (%)
2012 2013 2014
Alpha-Integrin-Hemmer: Natalizumab 56,2 45,2 36,5
S1P-Rezeptor-Modulatoren: Fingolimod 46,5 56,7 64,4
Anti-CD52-Antikörper: Alemtuzumab 0,3 1,2

Quelle: IGES-Berechnungen nach NVI-Daten (Insight-Health)

Im Zeitraum zwischen 2012 und 2014 zeigen sich für die Verbrauchsanteile der immunmodulatorischen Therapieansätze, die bei aktiven bzw. hochaktiven Verlaufsformen der MS eingesetzt werden, deutliche Verschiebungen. Der Anteil des Alpha-Integrin-Hemmers Natalizumab ging von 56 auf nur noch knapp 37 % zurück, während der Anteil des S1P-Modulators Fingolimod von rund 47 auf 64 % anstieg. Diese Veränderungen spiegeln wider, dass der Verbrauch von Natalizumab nahezu stabil geblieben ist, während der Verbrauch von Fingolimod sich im betrachteten Zeitraum mehr als verdoppelt hat. Der Verbrauchsanteil des Anti-CD52-Antikörpers Alemtuzumab erreichte 2014 1,2 %.

Natalizumab und Fingolimod haben entsprechend den Angaben der Fachinformationen praktisch identische Anwendungsgebiete, nämlich Patienten mit hochaktiver schubförmig remittierender MS (RRMS), wenn entweder eine hohe Krankheitsaktivität trotz krankheitsmodifizierender Therapie weiterhin besteht oder ein rasch fortschreitender schwerer Verlauf einer RRMS diagnostiziert wurde. Dennoch ist der Verbrauch von Fingolimod inzwischen höher als der von Natalizumab. Die Zurückhaltung in Bezug auf Natalizumab mag damit zusammenhängen, dass für diesen Wirkstoff in der Fachinformation ausdrücklich auf die Gefahr einer progressiven multifokalen Leukenzephalopathie (PML) hingewiesen wird. Bei der PML handelt es sich um eine Schädigung des ZNS, die durch Reaktivierung des JC-Virus bei Immunsuppression hervorgerufen werden kann. Die Häufigkeit der PML wird in der Fachinformation mit „gelegentlich“ angegeben, d.h., es ist bei mehr als 1 von 1000 Patienten mit dieser Nebenwirkung zu rechnen (Biogen Idec 2015). Für Fingolimod wird dagegen die Nebenwirkung PML bzw. das mögliche Risiko einer PML in der Fachinformation gar nicht erwähnt (Novartis 2015). Eine PML wurde auch unter der Therapie mit anderen stark immunsuppressiv wirkenden Arzneimitteln beobachtet. Auch für die MS-Arzneimittel Dimethylfumarat und Fingolimod sind inzwischen Fälle von PML bekannt geworden. Das Risiko scheint unter Dimethylfumarat und Fingolimod jedoch geringer zu sein als unter Natalizumab. Für Dimethylfumarat wurde inzwischen über einen Fall im Zusammenhang mit der Anwendung bei MS berichtet (Biogen Idec 2014), und für Fingolimod liegt ebenfalls ein Fallbericht in Form eines Rote-Hand-Briefs vor (Novartis 2015).