Multiple Sklerose

Veröffentlicht am: 11.09.17

Die Multiple Sklerose (MS) ist eine chronisch-entzündliche neurologische Erkrankung, bei der sich Entzündungsherde im zentralen Nervensystem (ZNS) bilden. Die entzündlichen Prozesse schädigen die Umhüllungen der Nerven, die sogenannten Myelinscheiden, und es kommt zu Demyelinisierungserscheinungen. Als Folge wird die Signalweiterleitung zwischen den Nervenzellen gestört, was zu unterschiedlichsten neurologischen Ausfallerscheinungen führt, je nachdem, in welchen Regionen des ZNS sich die Entzündungsherde befinden. In Abhängigkeit der verschiedenen Verlaufsformen der MS können sich die Schädigungen wieder zurückbilden oder fortlaufend akkumulieren.

Die MS beginnt meist im jungen Erwachsenenalter und ist in dieser Altersgruppe die häufigste chronische ZNS-Erkrankung (DGN 2014). Entsprechend einer aktuellen Auswertung des deutschen MS-Registers sind die Patienten zu Beginn der Erkrankung im Durchschnitt knapp 33 Jahre alt (MS Forschungs- und Projektentwicklungs-Gmbh 2014).
MS ist bislang nicht heilbar. Mit den verfügbaren Therapien können die Entzündungsprozesse gehemmt werden, bislang jedoch nur bei bestimmten Verlaufsformen der MS, insbesondere bei schubförmig remittierendem Verlauf.

Krankheitsursachen

Bis heute weiß man nicht genau, was zur Entstehung der Krankheit führt. Es wird von einer Autoimmunreaktion ausgegangen, die vermutlich sowohl von erblichen als auch von verschiedenen Umweltfaktoren (z. B. Virusinfektionen) in unterschiedlichem Ausmaß beeinflusst wird und bei der Entzündungs- und Immunzellen körpereigene Strukturen angreifen. Es gibt Anzeichen, dass der Vitamin-D-Spiegel eine Rolle spielt (Duan et al. 2014). Frauen erkranken sehr viel häufiger als Männer.

Diagnose

Da es für die Diagnose der MS keinen eindeutigen biologischen Marker gibt, sind für die Feststellung der Krankheit mehrere Elemente nötig. Die aktuell geltenden Diagnosekriterien beruhen dabei auf einem Nachweis von Krankheitszeichen und Entzündungsherden zu verschiedenen Zeitpunkten bzw. an verschiedenen Orten im ZNS als Anzeichen für die zeitliche und örtliche Dissemination, wobei Dissemination am besten mit „Streuung“ zu übersetzen ist. Wegen der charakteristischen Dissemination wird die MS auch als Encephalomyelitis disseminata bezeichnet. Zur Diagnose führt die ausführliche Anamnese, auch um ggf. Hinweise auf vergangene Krankheitsschübe zu erhalten, eine gründliche neurologische Untersuchung zur genauen Erfassung von Störungen sowie verschiedene weitere Untersuchungen, die u. a. dem Ausschluss anderer Krankheiten dienen.

Eine wesentliche Rolle spielt die bildgebende Diagnostik in Form der Kernspintomographie (MRT). Mithilfe der MRT lassen sich die zeitliche und die örtliche Dissemination bereits nach dem ersten Schub nachweisen, sodass die Diagnose MS heute vielfach früher und mit größerer Sicherheit gestellt werden kann.

Symptome

MS verläuft bei jedem Betroffenen anders, je nachdem, welche Regionen im ZNS von den krankhaften Entzündungsvorgängen betroffen sind. Einfluss auf den Krankheitsverlauf haben zudem das Lebensalter, in dem die Krankheit ausbricht, sowie die Krankheitsdauer.

Dennoch gibt es einig typische Anzeichen, die besonders charakteristisch für die MS sind. Zu Beginn der Erkrankung können dies bspw. Empfindungsstörungen an Armen und Beinen, Gangstörungen und Gangunsicherheiten sowie Zeichen für eine Entzündung des Sehnervs (Optikusneuritis) sein (DGN 2014). Die klassischen Symptome der Optikusneuritis sind Sehstörungen – bspw. unscharfes Sehen – und Schmerzen bei Augenbewegungen. Ein sehr typisches MS-Symptom sind außerdem Doppelbilder.

Im Krankheitsverlauf können neben vielen anderen auch solche Symptome auftreten, die für die Patienten besonders einschränkend sind. Dazu gehören bspw. Muskelsteife (Spastik) und Muskelschwäche, die zur Einschränkung der Mobilität beitragen können. Häufig sind außerdem Störungen von Blasen-, Darm- und Sexualfunktion. Dazu können erhöhte Erschöpfbarkeit (Fatigue), kognitive Störungen oder Depressionen kommen, um nur einige Beispiele zu nennen (DGN 2014). Da viele dieser Symptome die Betroffenen in ihrem täglichen Leben erheblich einschränken können, kommt der symptomatischen Therapie eine wesentliche Bedeutung zu.

Krankheitsverlauf

Die Multiple Sklerose hat sehr individuelle Krankheitsverläufe. Häufigkeit und Dauer der entzündlichen Prozesse im ZNS und der daraus folgenden Störungen unterscheiden sich von Patient zu Patient. Die Krankheit wird in verschiedene Stadien und Verlaufsformen eingeteilt: Sie kann in Schüben verlaufen oder chronisch voranschreiten.

Den Krankheitsverlauf günstig beeinflussen u. a. Faktoren wie ein Krankheitsausbruch vor dem 35. Lebensjahr, ein monosymptomatischer Beginn oder nur kurze, sich gut zurückbildende Schübe. Prognostisch eher ungünstig sind Faktoren wie z. B. lang andauernde und schlecht zurückbildende Schübe sowie ein durch zahlreiche Symptome gekennzeichneter Beginn der Erkrankung mit früh einsetzenden motorischen Symptomen und Störungen, die aus einer Schädigung des Kleinhirns resultieren (z. B. Störungen der Bewegungsabläufe) (DGN 2014).

Als Anfangsstadium der Erkrankung gilt das klinisch isolierte Syndrom (KIS). Dabei treten erstmalig typische klinische Symptome auf, doch ist der Nachweis der zeitlichen Dissemination klinisch noch nicht möglich. Dennoch kann mithilfe der MRT die Diagnose einer MS gestellt werden, wenn hierbei Läsionen aufgespürt werden, die definierten Kriterien entsprechen und die als Anzeichen für die erwähnte Dissemination gelten.

Bei der großen Mehrzahl der Patienten, nämlich mehr als 80 Prozent, manifestiert sich die MS als schubförmig remittierende (zurückbildende) Verlaufsform („relapsing-remitting" MS, RRMS) (DGN 2014). In der Regel verschwinden die Symptome binnen sechs bis acht Wochen und bis zum nächsten Schub verschlechtert sich die Symptomatik nicht. Bleiben die Schubsymptome jedoch länger als ein halbes Jahr bestehen, dann ist die Wahrscheinlichkeit für eine Rückbildung gering und liegt unter fünf Prozent (Ellison 1994 , zitiert in DGN 2014). Ein Schub wird dabei gemäß der DGN-Leitlinie wie folgt definiert: Es müssen neue Krankheitszeichen auftreten und länger als einen Tag anhalten. Der zeitliche Abstand zum vorherigen Schub muss mindestens 30 Tage betragen. Außerdem dürfen die Symptome nicht auf eine veränderte Körpertemperatur oder Infektion zurückgehen.

Bei rund jedem zweiten MS-Erkrankten mit schubförmigem Verlauf verschlechtern sich ohne Behandlung nach rund zehn Jahren die Symptome und Beeinträchtigungen. Das heißt, es entwickelt sich ein sekundär progredienter Verlauf der MS (SPMS) (DGN 2014).

Verläuft die Erkrankung von Beginn an ohne Schübe, aber mit einer schleichenden Zunahme der Symptome, wird von der primär progredienten Verlaufsform der MS (PPMS) gesprochen. Von dieser Verlaufsform sind etwa 10 bis 15 Prozent der MS-Patienten betroffen (DGN 2014).

Je länger MS besteht, desto größer ist die Wahrscheinlichkeit, dass die Patienten von Behinderungen betroffen sind. Allerdings ist der Verlauf der Erkrankung individuell sehr unterschiedlich. Eine ältere Studie aus Frankreich, die im Jahr 2000 publiziert wurde (Datenerhebung 1997), zeigt, dass etwa die mediane Zeit bis zu einer Einschränkung der Gehfähigkeit (Score 4 der Kurtzke Disability Status Scale) bei 8,4 Jahren nach Beginn der Erkrankung lag (Confavreux et al. 2000). Eine jüngere Studie aus den USA – mit allerdings deutlich kleinerer Kohortengröße – fand jedoch, dass die mediane Dauer bis zum Erreichen einer moderaten Behinderung (EDSS-Score mindestens 3) bei 17 Jahren nach Diagnosestellung lag (Pittock et al. 2004). In beiden Studien war die Dauer bis zum Erreichen der angegebenen Behinderung bei Patienten mit PPMS deutlich kürzer und bei Patienten mit RRMS deutlich länger.

Patienten mit MS haben im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung eine kürzere Lebenserwartung. Zahlreiche Studien aus den vergangenen 20 Jahren zeigten, dass nach Diagnose einer MS die weitere Lebenserwartung zwischen 20 und 45 Jahren liegt, wobei jüngere Studien längere Überlebenszeiten angaben. Im Vergleich zur Allgemeinbevölkerung war die Lebenserwartung bei Patienten mit MS um 6 bis 14 Jahre kürzer. Eine aktuelle französische Studie, die eine Studienpopulation von über 27 000 Patienten umfasste, ergab, dass die Lebenserwartung bei Patienten mit MS insgesamt um sieben Jahre geringer ist als bei der Bevölkerung allgemein. Die verminderte Lebenserwartung zeigte sich erst ab 20 Jahren nach Beginn der MS (Leray et al. 2015).

Die Versorgung von Menschen mit MS ist mit hohen Kosten verbunden, die nach Verlaufsform, Schubaktivität und Behinderungsgrad variieren. Die direkten medizinischen Kosten (u. a. Krankenhausaufenthalte, ambulante Versorgung, Medikamente) beziffern unter den wenigen veröffentlichten gesundheitsökonomischen Studien Kobelt et al. (2006) mit durchschnittlich mit rund 17 000 Euro pro Patient und Jahr. Hinzu kommen Kosten direkter, nichtmedizinischer Leistungen (u. a. Hilfsmittel, Umbauten im Lebensumfeld, Transporte, Haushaltshilfen) in Höhe von rund 6000 Euro jährlich pro Patient. Den größten Kostenblock innerhalb der direkten medizinischen Kosten stellen dabei Arzneimittel dar, gefolgt von Ausgaben für stationäre und ambulante Leistungen.

Weil vor allem junge Erwachsene zwischen dem 20. und 40. Lebensjahr von MS betroffen sind, kommt darüber hinaus den indirekten Krankheitskosten infolge von Produktivitätsausfällen durch Erwerbsunfähigkeit und Frühverrentung eine große Bedeutung zu. Nach Ergebnissen des deutschen MS-Registers waren 39,4 % der MS-Betroffenen vorzeitig berentet, in Abhängigkeit der Schwere der Behinderung (Flachenecker 2008). Aktuellere Zahlen zum Anteil der Patienten mit Erwerbsminderungsrente liegen derzeit nicht vor. Eine erhebliche nicht in direkten Kosten fassbare Krankheitslast ergibt sich aus den persönlich erlebten Einschränkungen der Lebensqualität durch MS.