Veröffentlicht am: 11.09.17
Die Geschichte der medikamentösen Therapie der MS beginnt in den 1950er-Jahren mit der Beschreibung der Interferone (McGraw und Lublin 2013) und der Synthese des Azathioprins. Azathioprin ist ein unspezifisch wirkendes Immunsuppressivum. In den 1960er-Jahren wurden erstmals Ergebnisse zu Behandlungsversuchen mit diesem Wirkstoff publiziert (Swinburn und Liversedge 1973). Auch heute noch ist Azathioprin vereinzelt in Gebrauch, gilt jedoch als ein Reservemittel (DGN 2014).
Ebenfalls in den 1960er-Jahren wurde das Copolymer 1 – heute als Glatirameracetat bekannt – synthetisiert. Mit dem Copolymer 1 sollte eigentlich im Tiermodell eine Autoimmunenzephalitis ausgelöst werden. Doch entsprechende Versuche blieben erfolglos. Stattdessen zeigte sich, dass Copolymer 1 das genaue Gegenteil bewirkte: Es unterdrückte die entzündlichen Vorgänge bei einer experimentellen Autoimmunenzephalitis. 1977 wurden erste klinische Behandlungsversuche mit Glatirameracetat durchgeführt, 1979 auch mit Beta-Interferon (McGraw und Lublin 2013).
Die klinische Entwicklung von Beta-Interferonen und Glatirameracetat zur Behandlung der schubförmig verlaufenden MS (RRMS) verlief nahezu parallel. 1987 wurden die Ergebnisse der ersten randomisierten Studie zur Anwendung von Glatirameracetat publiziert, 1988 startete eine der wichtigsten Studien zur Prüfung der Wirksamkeit von Beta-Interferon. 1993 ließ die FDA das erste Beta-Interferon zur Anwendung bei der RRMS zu, 1996 erfolgte die Zulassung von Glatirameracetat. In Deutschland stand das erste Beta-Interferon 1996 zur Verfügung und Glatirameracetat wurde 2001 eingeführt. Damit waren die Voraussetzungen für die Etablierung der bis heute gültigen medikamentösen Standardtherapie bei der RRMS gegeben. Sowohl Beta-Interferone als auch Glatirameracetat wirken über verschiedene Mechanismen, die insbesondere für Glatirameracetat auch noch weitgehend ungeklärt sind, immunmodulatorisch, beeinflussen also die für die Pathogenese der MS-relevanten Immunprozesse.
Mit dem Jahrtausendwechsel begann die Entwicklung der „zweiten Generation“ von MS-Medikamenten. Grob zusammenfassend kann man sagen, dass alle neu-en Arzneimittel über verschiedene Mechanismen hemmend auf die Immunzelltypen wirken, die für die Entstehung der MS relevant sind. 2002 wurde der Wirkmechanismus von Fingolimod beschrieben (Brinkmann et al. 2002). Fingolimod war das erste der neuen Arzneimittel, das oral angewendet wird, und ist seit 2011 verfügbar. 2003 wurden die Ergebnisse der klinischen Studie zu Natalizumab publiziert (Miller et al. 2003). Natalizumab ist seit 2006 in Deutschland verfügbar und war das erste spezifisch wirkende Arzneimittel zur Anwendung bei schweren Verläufen der MS. In den Jahren 2013 und 2014 wurden gleich drei Wirkstoffe zur Behandlung der MS eingeführt. Alemtuzumab und Dimethylfumarat sind allerdings keine neuen Wirkstoffe, da beide schon vor vie-len Jahren zur Behandlung anderer Erkrankungen zugelassen wurden. Auch der dritte Wirkstoff, das Teriflunomid, war prinzipiell schon im Einsatz, denn es handelt sich um den aktiven Metaboliten des bei rheumatoider Arthritis angewendeten Leflunomids.