Was ist Krebs und wie entsteht er ?

Veröffentlicht am: 16.10.16

Entsprechend der Weltgesundheitsorganisation WHO versteht man unter Krebs das unkontrollierte Wachstum und die unkontrollierte Ausbreitung von körpereigenen Zellen, die nahezu jeden Teil des Körpers betreffen kann. Durch das Wachstum des Krebses dehnt sich der Tumor in der Regel auf benachbartes Gewebe aus. Eine weitere Eigenschaft der meisten bösartigen Tumoren ist, dass sie auch in entfernte Stellen des Organismus metastasieren können.

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Wesentliche Merkmale maligner Tumoren.
Quelle: IGES nach Hanahan D, Weinberg RA 2011

Was sind die Besonderheiten von Krebs?

Krebszellen entstehen aus normalen Körperzellen, die unter entsprechenden Umständen in Tumorzellen umgewandelt (transformiert) wurden. Bei dieser Transformation erlangen sie verschiedene, für Tumorzellen entscheidende Merkmale (Hanahan und Weinberg 2000, 2011), die nachfolgend kurz dargestellt werden sollen.

Anhaltende Wachstumssignale

Anders als bei normalem Gewebe wird bei Krebszellen durch anhaltende Wachstumssignale ein chronisches Wachstum (Proliferation) des Tumorgewebes möglich. Die Wachstumssignale können dabei aus unterschiedlichen Quellen stammen. So können die Tumorzellen z. B. selbst Wachstumsfaktoren freisetzen. Die Krebszellen können auch vermehrt Wachstumsfaktor-Rezeptoren bilden (exprimieren) oder völlig unabhängig von Wachstumsfaktoren sein, weil ein entsprechender Signalweg in den Krebszellen daueraktiviert ist, während in normalen Zellen die Signalübertragung erst durch die Bindung eines Wachstumsfaktors an entsprechende Rezeptoren ausgelöst werden muss. Häufig sind in Krebszellen auch negative Feedbackschleifen unterbrochen, die normalerweise ein überschießendes Wachstum unterbinden.

Keine Wachstumshemmung

Üblicherweise wird das Wachstum von Gewebe durch die verschiedensten Mechanismen kontrolliert und gebremst. Tumorzellen sind in der Lage, sich diesen Kontrollmechanismen zu entziehen. Dabei spielen zahlreiche zellexterne und interne Signale eine Rolle. Ein wichtiger Kontrollmechanismus, der bei Tumoren fehlt, ist z. B. die Kontaktinhibition, die das Zellwachstum bremst, wenn Zellen desselben Gewebes aneinanderstoßen. Über andere Signalwege wird in normalen Zellen z. B. das Wachstum gestoppt, wenn zu große Schäden an der DNA oder eine zu geringe Sauerstoffversorgung registriert werden.

Invasives Wachstum und Metastasierung

Gesunde Zellen dringen weder in umgebendes Gewebe ein, noch können sie auf dem Blutweg streuen und sich an anderen Stellen des Körpers ansiedeln. Tumorzellen dagegen können diese Fähigkeiten durch verschiedene Mechanismen erwerben.

Unsterblichkeit

Im Gegensatz zu fast allen gesunden Zelllinien sind Tumorzellen quasi unsterblich. Die meisten Körperzellen können nur eine begrenzte Anzahl von Zellteilungen durchlaufen, wobei diese Anzahl abhängig vom Gewebe unterschiedlich sein kann. Tumorzellen dagegen können sich beliebig oft teilen. Ursache scheint die Expression des Enzyms Telomerase in immortalen (unsterblichen) Zelllinien zu sein. Die Telomerase stellt die Telomere (Chromosomenenden) der DNA nach jeder Zellteilung wieder her.

Wachstum von Blutgefäßen (Angiogenese)

Als Angiogenese bezeichnet man den Prozess des Wachstums von Blutgefäßen. Auch Tumorzellen müssen mit Sauerstoff und Nährstoffen versorgt werden und Stoffwechselabfälle entsorgen. Ab einer bestimmten Gewebegröße ist dies nur möglich, wenn neue Blutgefäße in das Tumorgewebe einwachsen, sodass das Gewebe durchblutet werden kann. Tumorzellen können über verschiedene angiogenetische Signale das Wachstum neuer Gefäße anregen (Neoangiogenese), z. B. durch die Überexpression des VEGF (engl.: Vascular Endothelial Growth Factor; endothelialer Gefäßwachstumsfaktor).

Programmierter Zelltod ausgeschaltet

Bei gesunden Zellen wird nach Ablauf ihrer Lebenszeit oder bei zu großer Schädigung durch verschiedene Regulationsmechanismen der programmierte Zelltod (Apoptose) ausgelöst. Tumorzellen können sich dieser Regulation entziehen und dadurch länger leben.

Weitere Merkmale

Zwei weitere Merkmale, die möglicherweise typisch für Tumorzellen sind, werden aktuell diskutiert: Zum einen gibt es Hinweise darauf, dass in Tumorzellen eine Umprogrammierung des Energiestoffwechsels stattfindet. Zum anderen scheinen zumindest bestimmte Tumorarten in der Lage zu sein, sich der Kontrolle – sprich Entdeckung und Zerstörung – durch das körpereigene Immunsystem zu entziehen (Hanahan und Weinberg 2011).

Damit eine Krebszelle die oben genannten Merkmale erlangen kann, müssen zunächst zwei weitere wesentliche Bedingungen erfüllt sein. Zum einen muss in der Tumorzelle das Erbgut (das sogenannte Genom) instabil werden, damit vermehrt Zufallsmutationen stattfinden und sich so die notwendigen Eigenschaften herausbilden können. Die Genominstabilität entsteht durch höhere Empfindlichkeit gegenüber mutagenen Substanzen und/oder dadurch, dass die zellulären Mechanismen zur Kontrolle und Reparatur der DNA nicht mehr funktionieren. Zum anderen bildet sich in der Regel bereits in sehr frühen Phasen der Tumorentstehung eine Entzündungsreaktion aus, die vermutlich der Bekämpfung des sich entwickelnden Tumorgewebes dienen soll. Jedoch fördert die Entzündungsreaktion über verschiedene Mechanismen auch die Tumorentstehung und -progression.

Transformation in Krebszellen

Das am häufigsten genannte Modell zur Tumorentstehung ist das der klonalen Entwicklung von Tumoren (Wagener und Müller 1999). Demzufolge findet die Transformation zur Tumorzelle schrittweise über einen langen Zeitraum statt. Es entsteht zunächst ein Zellklon mit einer relevanten onkogenen Mutation, einer sogenannten Treibermutation. Diese führt zu einem „Überlebensvorteil“, sodass dieser Klon selektiert wird und sich vermehrt. Zu einem späteren Zeitpunkt findet in diesem Klon eine weitere Treibermutation statt, die wiederum zu einem Selektionsvorteil führt. Dieser Prozess der klonalen Evolution schreitet immer weiter voran und führt über viele Jahre bzw. Jahrzehnte zur Entstehung eines Tumors, bei dem die meisten Zellen zwar genetisch einheitlich sind, in dem aber immer auch abweichende Subklone existieren (Nowell 1986, Vogelstein et al. 2013).

Die Geschwindigkeit, mit der sich die Mutationen ansammeln, nimmt über die Zeit zu. Die meisten Tumoren entwickeln sich über Jahrzehnte. Man findet im Mittel in soliden Tumoren Mutationen an 33 bis 66 Genen. Manche Tumoren, insbesondere bei Lungenkrebs oder Melanom, können 200 Mutationen aufweisen, andere – insbesondere Tumoren bei Kindern – zeigen nur rund 10 Mutationen. Die hohe Mutationsrate in Tumoren ist der Grund, warum Tumorzellen mit der Zeit häufig Resistenzen gegen antineoplastische Arzneimittel entwickeln.

Ursachen der Tumorentstehung

Die Ursachen der Tumorentstehung sind vielfältig (Wagener und Müller 1999) und sollen hier kurz zusammengefasst werden.

Spontane Mutationen

Zu spontanen Veränderungen der DNA kommt es regelmäßig bei Zellteilungen auch ohne äußere Ursache. Wenn diese Veränderungen zu den o. g. Treibermutationen führen, kann sich über Jahrzehnte hinweg im Prinzip „zufällig“ eine Krebserkrankung entwickeln.

Chemische und physikalische Auslöser

Äußere Ursachen, die zur Krebsentstehung beitragen, werden Karzinogene genannt. Sie führen vielfach direkt oder nach Verstoffwechselung zu Schäden an der DNA. Wichtige Beispiele für chemische Kanzerogene sind die Inhaltstoffe von Tabakrauch, die insbesondere die Krebsentstehung in Lunge, Mund und Rachen, aber auch der Blase fördern. Aflatoxine aus Schimmelpilzen sind bekannte Auslöser von Leberkrebs. Als heute bedeutendster physikalischer Auslöser von Krebs sei die UV-B-Strahlung genannt, die bei hellhäutigen Menschen zu Hautkrebs führen kann.

Biologische Auslöser

Sowohl Viren als auch Bakterien können zu Krebs führen. In unseren Breiten ist das wichtigste Virus, für das eine Kausalbeziehung zwischen Infektion und Krebsentstehung besteht, das humane Papillomavirus (HPV). Insbesondere das Zervixkarzinom entsteht häufig nur dann, wenn eine Infektion mit bestimmten HPV-Typen vorausgegangen ist. Andere Viren, z. B. die der chronischen Hepatitiden, fördern durch die chronische Entzündung die Krebsentstehung. Das Bakterium Helicobacter pylori kann zur Entwicklung eines Magenkarzinoms führen.

Genetische Ursachen

Etwa 1–2 % aller Krebserkrankungen sind auf genetische Ursachen zurückzuführen. In den meisten Fällen sind sogenannte Tumorsuppressorgene betroffen. Sie wirken über verschiedene Regulationsmechanismen hemmend auf das Zellwachstum und sind am programmierten Zelltod (Apoptose) beteiligt. Menschen mit entsprechender erblicher Belastung haben ein hohes Risiko, bestimmte Krebserkrankungen zu entwickeln. Beispiele für solche familiären Krebssyndrome sind das familiäre Retinoblastom (ein bösartiger Tumor der Netzhaut), die familiäre adenomatöse Polyposis coli (Darmkrebs) oder familiäre Brustkrebserkrankungen durch Veränderungen des BRCA1- bzw. BRCA2-Gens.