Historische Entwicklung der Ausgaben für Krebsarzneimittel

Veröffentlicht am: 17.10.16

Eine differenzierte Betrachtung der aktuellen Ausgabenentwicklung für onkologische Arzneimittel erfolgt im Bereich Indikationen (Antineoplastische Mittel und Endokrine Therapie). Im Folgenden liegt der Fokus auf der historischen Entwicklung.

Lange Zeitreihen über die Versorgung mit onkologischen Arzneimitteln in der GKV gestalten sich schwierig. Der Arzneiverordnungs-Report (AVR) publiziert erst seit 1996 Angaben zu den Umsätzen und Verordnungen onkologischer Fertigarzneimittel in Abgrenzung nach der ATC-Klassifikation, wie sie im Arzneimittel-Atlas angewendet wird. Im Falle der onkologischen Versorgung spielen zudem die von Apotheken abgegebenen Zubereitungen zur ambulanten Versorgung der Patienten eine bedeutsame Rolle.

Erst seit 2002 werden Angaben zu Umsätzen und Verordnungen von Zytostatikazubereitungen im AVR gesondert ausgewiesen. Für den Zeitraum 1996–2001 wurden daher der Umsatz und der Verbrauch geschätzt und angenommen, dass der Anteil am Umsatz bzw. Verbrauch an allen Rezepturen zwischen 1996 und 2002 konstant war. Zur besseren Vergleichbarkeit des Zeitverlaufs erfolgte für den Umsatz zusätzlich eine Inflationsbereinigung (Verbraucherpreisindex) und die Mehrwertsteuer wurde herausgerechnet.

Unter Berücksichtigung dieser Bereinigungen betrugen die Umsätze für onkologische Arzneimittel im Jahr 1996 404 Mio. Euro. Der jährliche Anstieg der Umsätze bis 2014 betrug im Mittel 13,5 %. Das Umsatzvolumen erreichte entsprechend 3,9 Mrd. Euro. Im Vergleich zu den Gesamtumsätzen für Arzneimittel nahm der Anteil dabei von 1,9 % auf 12,9 % zu (Abb. 11). Dies bedeutet über den gesamten Zeitraum gesehen einen mittleren jährlichen Anstieg von 11,2 %.

Anteil des inflations- und mehrwertsteuerbereinigten Umsatzes für Krebsarzneimittel am Gesamtumsatz der GKV im Zeitraum 1996–2014.
Quelle: Eigene Berechnungen nach Schwabe und Paffrath 1997 ff. und Statistischem Bundesamt (Verbraucherpreisindex)

Quelle: IGES, eigene Berechnungen nach Schwabe & Paffrath 1997ff und Statistischem Bundesamt (Verbraucherpreisindex)

Allerdings verteilte sich der Ausgabenanstieg bzw. der Anstieg des Anteils an den Arzneimittelausgaben insgesamt nicht gleichmäßig über die Zeit. Vielmehr lassen sich seit 1996 drei Phasen erkennen: eine erste Phase des langsamen Ausgabenanstiegs bis 2002, eine steile Phase, die bis 2009 anhielt, gefolgt von der aktuellen Phase mit sehr flachem Anstieg. Der fast exponentielle Verlauf zwischen 2000 und 2009 fiel dabei zusammen mit der Einführung neuer antineoplastischer Therapieoptionen: Etwa ab der Jahrtausendwende wurde das überwiegend aus den 1950er- und 1960er-Jahren stammende Arsenal von Zytostatika durch die zielgerichteten Therapien modernisiert und erweitert. Aufgrund vieler Faktoren ist das Preisniveau dieser neuen Arzneimittel zwangsläufig höher als das der Altsubstanzen. Besonders stark war dabei der Anstieg für die Zubereitungen.

Ein detaillierter Einblick in die Struktur der Zytostatikazubereitungen ist seit dem zweiten Quartal 2010 möglich, da ab diesem Zeitpunkt die für die Zubereitung verwendete PZN des Fertigarzneimittels auf dem Rezept vermerkt werden muss. Aus den Angaben der NVI (INSIGHT Health) ab dem Jahr 2010 lässt sich rückschließen, dass seit 2000 nicht nur vermehrt Zubereitungen mit monoklonalen Antikörpern verordnet wurden, sondern auch der Umsatz mit konventionellen Zytostatika anstieg. Im 2. bis 4. Quartal 2010 hatten nach NVI konventionelle Zytostatika einen Anteil von 44,8 % am Umsatz an allen onkologischen Zubereitungen.

Bezogen auf die Jahresumsätze für Zubereitungen in der oberen Abbildung waren dies schätzungsweise 960,7 Mio. Euro. Im Jahr 1999, also vor Einführung der ersten zielgerichteten Therapie im Jahr 2000, betrug der Umsatz für Zytostatikazubereitungen 307,7 Mio. Euro. Daraus lässt sich abschätzen, dass die Umsätze für konventionelle Zytostatika somit zwischen 1999 und 2010 um 10,5 % pro Jahr gewachsen sind. Dies spricht dafür, dass es nicht einfach nur strukturelle Verschiebungen hin zu teureren Therapien gab, sondern sich auch die Menge der abgegebenen Verordnungen erhöhte. Tatsächlich hat sich die Menge der verordneten Zubereitungen zwischen 2002 und 2006 etwa verdreifacht, wie die folgende Abbildung zeigt.

Anzahl der ambulant abgegeben Verordnungen von onkologischen Arzneimitteln im Zeitraum 1996–2014.
Quelle: Eigene Berechnungen nach Schwabe und Paffrath 1997 ff.

Quelle: IGES, eigene Berechnungen nach Schwabe & Paffrath 1997ff

Seit 2010 gingen die Umsätze der konventionellen Zytostatika in einem ansonsten wachsenden Markt aber zurück. Nach NVI war 2014 der Anteil am Umsatz 36,6 %. Dies waren umgerechnet 841,2 Mio. Euro bezogen auf die Angaben des AVR und ein jährlicher Rückgang von 2,2 % zwischen 2010 und 2014.

Doch nicht nur bei den Zubereitungen mit konventionellen Wirkstoffen hatte sich das Wachstum abgeschwächt. Von 2009 bis 2014 haben sich allgemein die jährlichen Steigerungsraten der Umsätze von onkologischen Arzneimitteln deutlich verlangsamt (3,6 % pro Jahr), der Anteil an den Gesamtumsätzen nahm aber weiterhin zu (1,8 % pro Jahr). Dies überrascht nicht, da einer der wichtigsten aktuellen Forschungsschwerpunkte onkologische Arzneimittel betrifft, was sich in einem entsprechend hohen Anteil von Verfahren zur frühen Nutzenbewertung niederschlägt.

Die Prävalenz von Krebserkrankungen steigt in Deutschland an. Ursache dafür ist zum einem die Alterung der Gesellschaft, aber auch die längeren Überlebensraten vieler Patienten. Neue Medikamente leisteten und leisten dazu einen Beitrag, und aufgrund der neuen Therapieoptionen erhalten insbesondere Patienten mit fortgeschrittenen Krebserkrankungen nicht selten mehrere Behandlungslinien mit verschiedenen Wirkstoffen. Des Weiteren wird ein höherer Anteil der Behandlungen ambulant durchgeführt. All diese Faktoren erhöhen die medikamentösen Behandlungskosten je Patient in der ambulanten Versorgung. Die Umsätze pro Kopf stiegen daher im Beobachtungszeitraum von 24,87 € im Jahr 1996 jährlich im Mittel um 12,2 % pro Jahr auf 197,21 € im Jahr 2014. Basis ist dabei die Zahl der GKV-Versicherten über 60 Jahre, um zu berücksichtigen, dass die Mehrheit der Krebserkrankungen erst im höheren Alter auftritt. Auch hier verlief der Anstieg der Pro-Kopf-Umsätze nicht stetig, sondern es findet sich zwischen 2002 und 2009 ein sehr steiler Verlauf, der wesentlich durch die bereits erwähnte Modernisierung der Therapieoptionen bedingt war.

Inflations- und mehrwertsteuerbereinigte Umsätze pro Kopf (GKV-Versicherte über 60 Jahre) für Krebsarzneimittel in der GKV im Zeitraum 1996–2014.
Quelle: Eigene Berechnungen nach Schwabe und Paffrath 1997 ff., Statistischem Bundesamt (Verbraucherpreisindex, Basis 2010) und Bundesministerium für Gesundheit (Versichertenstatistik KM6)

Quelle: IGES, eigene Berechnungen nach Schwabe & Paffrath 1997ff, Statistischem Bundesamt (Verbraucherpreisindex, Basis 2010) und Bundesministerium für Gesundheit (Versichertenstatistik KM6)

Der Kurvenverlauf ist somit letztlich sehr ähnlich dem absoluten Umsatzanstieg. In jüngeren Jahren (2009–2014) war der jährliche Anstieg pro Kopf mit 2,7 % pro Jahr aber niedriger, d. h. der Umsatzanstieg war teilweise Folge der demografischen Entwicklung.

Insgesamt lässt sich festhalten, dass zu Beginn des Jahrtausends eine ungewöhnliche Wachstumsphase für die onkologische Versorgung bestand. Aufgrund der weiterhin starken Forschungstätigkeit im Krebsbereich kann nicht ausgeschlossen werden, dass es auch in Zukunft solche Phasen erhöhten Wachstums geben wird. Zudem dürfte auch der zunehmende Bedarf durch die demografische Entwicklung für ein kontinuierliches Wachstum sorgen.

Nachfolgend soll die Entwicklung der Umsatzanteile für onkologische Arzneimittel und der weiteren vier umsatzstärksten Indikationsgruppen des Jahres 2015 betrachtet werden. Dabei fällt auf, dass nur der Anteil der Mittel bei Hypertonie (C02–C09) zurückgegangen ist, wie die untere Abbildung zeigt.

Anteil des inflations- und mehrwertsteuerbereinigten Umsatzes für fünf Indikationsgebiete am Gesamtumsatz der GKV im Zeitraum 1996–2014.
Quelle: Eigene Berechnungen nach Schwabe und Paffrath 1997 ff. und Statistischem Bundesamt (Verbraucherpreisindex, Basis 2010)

Quelle: IGES, eigene Berechnungen nach Schwabe & Paffrath 1997ff und Statistischem Bundesamt (Verbraucherpreisindex)

Im Jahr 1996 lag der Anteil am GKV-Umsatz noch bei 15,0 %. Bis zum Jahr 2014 war er auf 9,1 % gesunken. Dies bedeutet einen Rückgang des inflations- und mehrwertsteuerbereinigten Umsatzes von 3.203,8 Mio. Euro auf 2.773 Mio. Euro. Im selben Zeitraum war aber die verordnete Menge um fast das Dreifache von 5517,0 Mio. DDD auf 15 002,5 Mio. DDD gestiegen. Der generische Wettbewerb erlaubte eine Ausweitung der Menge bei sinkenden Kosten. Wären die Mengen 2014 zu Preisen des Jahres 1996 abgegeben worden, hätte dies zu Umsätzen von 8.712,2 Mio. Euro für die GKV geführt. Im Markt zur Behandlung der Hypertonie wurden somit Kapazitäten freigesetzt, die für innovativere Bereiche genutzt werden konnten. Die Anteile der anderen Indikationsgruppen stiegen dagegen an, insbesondere die der onkologischen Arzneimittel (L01, L02) und der Immunsuppressiva (L04), aber auch der antiviralen Mittel (J05). Lediglich der Umsatzanteil der Antidiabetika (A10) ist seit vielen Jahren weitgehend konstant.

Die Indikationsgruppen der onkologischen, immunsuppressiven und antiviralen Arzneimittel zeichneten sich in den letzten Jahren durch ein hohes Innovationspotenzial aus, das aller Voraussicht nach noch eine Weile erhalten bleiben wird, weil an vielen Entwicklungen gearbeitet wird. Auch hier werden künftig Generika und Biosimilars zur Verfügung stehen. Eine Entwicklung wie bei den Arzneimitteln zur Behandlung der Hypertonie, d. h. eine erhebliche Mengenausweitung bei Verfügbarkeit generischer Alternativen, ist für die Krebstherapie in Zukunft jedoch nicht zu erwarten. Die Einführung von Generika führt hier zu Umsatzrückgängen bei stabilem Verbrauch. In der Vergangenheit war dies z. B. für die Indikationsgruppe der endokrinen Therapie zu beobachten. Hier ging 2011 und 2012 der Umsatz durch Einführung der Generika für Aromatasehemmer zurück (Häussler et al. 2013).

Literatur

  • Häussler B, Höer A, Hempel E. Arzneimittel-Atlas 2013. Berlin: Springer 2013
  • Schwabe U, Paffrath D. Arzneiverordnungs-Report 1997. Berlin: Springer 1997 ff.