Lebensqualität in der Nutzenbewertung

Veröffentlicht am: 03.10.16

Um die Wirksamkeit von onkologischen Arzneimitteln nachzuweisen, galt und gilt die Verlängerung der Überlebenszeit als entscheidend. Als relevanter Endpunkt wird üblicherweise das sogenannte Gesamtüberleben (Overall Survival, OS) untersucht. Allerdings zeigen Studien, dass insbesondere in fortgeschrittenen Stadien, wenn die Heilungschancen gering und die Belastungen durch die tumorbedingten Symptome groß sind, das Wohlbefinden der Patienten im Vergleich zum Zugewinn an Lebenszeit an Bedeutung gewinnt. In einer Studie mit Tumorpatienten im fortgeschrittenen Stadium gaben 55 % an, dass für sie die Lebensqualität und der Zugewinn an Lebenszeit gleichwertig sei, 27 % präferierten Lebensqualität und 18 % bevorzugten eine Verlängerung der Lebenszeit. Patienten mit höherem Alter, männlichem Geschlecht und höherem Bildungsgrad entschieden sich eher für die Lebensqualität als für den Zugewinn an Lebenszeit (Meropol et al. 2008).

Die Überlebensraten bei Krebserkrankungen lassen sich zweifelsfrei ermitteln – valide Aussagen zur Lebensqualität sind dagegen schwieriger zu machen. Auch in der öffentlichen Debatte zur frühen Nutzenbewertung wird immer wieder gefordert, dass die Lebensqualität insbesondere bei onkologischen Arzneimitteln stärker in den Vordergrund rücken müsse (z. B. Laschet 2014).

Bis zum Stichtag 31. Dezember 2015 wurden 45 Verfahren für onkologische Arzneimittel abgeschlossen. Um einen Überblick zu geben, welche Rolle die Lebensqualität bislang bei der Bewertung spielte, wurden insgesamt 40 Bewertungsverfahren anhand der Ergebnisse im G-BA-Beschluss bzw. den entsprechenden „Tragenden Gründen zum Beschluss“ berücksichtigt. Ausgeschlossen wurden fünf (Erst-)Verfahren (Eribulin, Afatinib, Vemurafenib, Vandetanib, Ruxolitinib), da für diese Wirkstoffe bereits eine Neubewertung vorlag. Bei Verfahren mit mehreren Patientengruppen wurde jeweils nur die höchste Zusatznutzenkategorie berücksichtigt.

Die häufigsten Gründe dafür waren eine zu geringe Rücklaufquote, ungeeignete historische oder indirekte Vergleiche, fehlende Validierung des eingesetzten Instruments oder unklarer Umgang mit fehlenden Werten. Bei 24 Verfahren erfolgte keine Bewertung des Endpunkts Lebensqualität durch den G-BA, wobei folgende Gründe ausschlaggebend waren: Bei zwei Verfahren war das Dossier unvollständig (ohne Modul 4), und in einem weiteren Dossier war die zweckmäßige Vergleichstherapie nicht geeignet. In fünf Verfahren wurden keine Daten zur Lebensqualität in den relevanten Studien erhoben. In 16 Verfahren waren die Daten für eine Bewertung nicht geeignet.

Bei 16 (40 %) der 40 Verfahren wurden die Ergebnisse zur gesundheitsbezogenen Lebensqualität vom G-BA für die Beurteilung des Zusatznutzens herangezogen (s. Tab. 3). Hier bestätigte der G-BA in insgesamt sechs Verfahren, dass der zu bewertende Wirkstoff die Lebensqualität der jeweiligen Patientengruppe signifikant verbessert. Sowohl beim Wirkstoff Ruxolitinib (Neubewertung; chronische myeloproliferative Erkrankungen) als auch bei Crizotinib (nichtkleinzelliges Lungenkarzinom) konnte eine signifikante Verbesserung des globalen Gesundheitszustands sowie aller Funktionsskalen mit Ausnahme der kognitiven Funktion in der jeweiligen Patientengruppe erreicht werden. Aufgrund positiver Ergebnisse zur Lebensqualität und Morbidität wurde beiden Präparaten vom G-BA ein beträchtlicher Zusatznutzen zugewiesen. Ruxolitinib zeigte darüber hinaus auch im Anwendungsgebiet Polycythaemia vera eine signifikante Verbesserung der Lebensqualität in Hinblick auf den globalen Gesundheitszustand und die körperliche Funktion. Für den Wirkstoff wurde der Zusatznutzen als beträchtlich eingestuft.

Bei den Wirkstoffen Trastuzumab-Emtansin (Brustkrebs) und Enzalutamid (neues Anwendungsgebiet; Prostatakrebs) wurde die Zeit bis zur Verschlechterung der Lebensqualität erfasst. Trastuzumab-Emtansin zeigte eine signifikant verzögerte Verschlechterung der Lebensqualität im Vergleich zur zweckmäßigen Vergleichstherapie (6,6 Monate vs. 5,5 Monate) in der jeweiligen Patientengruppe, allerdings ausschließlich für die physisch-funktionale Komponente. Auch für Enzalutamid konnte sowohl für den Gesamtscore als auch für die Subskalen des Fragebogens gezeigt werden, dass sich die Lebensqualität im Laufe der Behandlung signifikant später verschlechtert als bei der Vergleichstherapie (11,3 Monate vs. 5,6 Monate). Der G-BA beschloss für beide Wirkstoffe einen beträchtlichen Zusatznutzen.

Afatinib (nichtkleinzelliges Lungenkarzinom) zeigte ebenfalls eine signifikante Verlängerung der Zeit bis zur Verschlechterung der Lebensqualität, allerdings ausschließlich bei der körperlichen Funktion (5,6 Monate vs. 2,8 Monate). Aufgrund positiver Ergebnisse zur Mortalität, Morbidität und Lebensqualität beschloss der G-BA für Afatinib bei der Patientengruppe mit EGFR-Mutation Del19 einen erheblichen Zusatznutzen.

Bei zehn Verfahren konnte kein Vorteil hinsichtlich der Lebensqualität zugunsten des bewerteten Arzneimittels festgestellt werden. Dabei zeigten sich in sieben Fällen keine signifikanten Unterschiede zwischen Wirkstoff und Vergleichstherapie. Bei Vemurafenib galt der Zusatznutzen für den Endpunkt Lebensqualität als nicht belegt, aufgrund eines fehlenden Gesamtscores und gegenläufiger Ergebnisse bei zwei Subskalen. Bei Abirateronacetat (neues Anwendungsgebiet) wirkte sich der statistische Vorteil nicht auf die Zusatznutzenbewertung insgesamt aus, da es unterschiedliche Auffassungen zur klinischen Relevanz der Ergebnisse gab. Im Fall von Ramucirumab flossen die Vorteile zur Lebensqualität nur eingeschränkt in die Gesamtnutzenbewertung ein, da nicht für den gesamten Therapiezyklus Daten vorlagen.

Eine stärkere Berücksichtigung der Lebensqualität bei der Nutzenbewertung ist eine zentrale Forderung des G-BA vor dem Hintergrund der Zunahme an älteren und damit multimorbiden Patienten (Staeck 2016). Bislang reagiert der G-BA auf die fehlenden Lebensqualitätsdaten vor allem, indem er die Nutzenbewertung der Wirkstoffe befristet und weitere Daten fordert (Laschet 2016).

Wie eine Verbesserung der methodischen Probleme wie z. B. den geringen Rücklaufquoten erreicht werden kann, soll u. a. in Forschungsprojekten im Rahmen des Innovationsfonds untersucht werden. Die hier dargestellten Analyseergebnisse zeigen, dass es bei den onkologischen Verfahren zur Nutzenbewertung bereits einen beträchtlichen Anteil von Verfahren gab, in denen Daten zur Lebensqualität vorgelegt wurden.

Literatur