Herausforderungen für die Zukunft

Veröffentlicht am: 20.09.16

Der Tyrosinkinase-Hemmer Imatinib war mit einer der ersten Wirkstoffe, der die Ära der modernen zielgerichteten Therapien einläutete und dem eine Vielzahl weiterer folgten und sicher noch folgen werden. Imatinib wurde zunächst zur Behandlung einer bestimmten Form der Leukämie zugelassen, die in Bezug auf ihre Ursache zu den Ausnahmen unter den Krebserkrankungen gehört. Darauf soll an dieser Stelle detaillierter eingegangen werden, um anschließend die Herausforderungen für die Zukunft zu umreißen, die sich daraus ergeben, dass die meisten Krebserkrankungen völlig anders entstehen als die BCR-ABL-positive chronisch-myeloische Leukämie (BCR-ABL-positive CML).

Ein Charakteristikum der BCR-ABL-positiven CML ist der Nachweis des sogenannten Philadelphia-¬Chromosoms, einer Chromosomenmutation. Durch diese Mutation kommt es zur Fusion zweier Gene, und das Produkt dieses BCR-ABL-Onkogens hat zur Folge, dass die ABL-Tyrosinkinase dauerhaft aktiviert wird und es zu unkontrolliertem Zellwachstum kommt. Imatinib hemmt selektiv BCR ABL und führt bei den meisten Patienten zu einem dauerhaften Ansprechen. In der IRIS-Studie, in der Patienten mit CML eine Imatinib-Therapie erhalten hatten, konnte ein 5-Jahres-Überleben von 89 % beobachtet werden (Bo et al. 2006). Man geht davon aus, dass Patienten mit BCR-ABL-positiver CML, die auf Imatinib ansprechen, eine weitgehend normale Lebenserwartung haben (Bozic et al. 2012).

Seit der Einführung von Imatinib sind viele weitere Tyrosinkinase-Hemmer entwickelt worden, die bei anderen Krebsarten eingesetzt werden. Doch keiner dieser Wirkstoffe konnte bislang an den Erfolg von Imatinib anknüpfen. Nicht weil diese Arzneimittel schlechter auf ihre Zielstrukturen wirken, sondern weil die sonstigen tumorbiologischen Bedingungen in den meisten Fällen völlig anders sind. Einerseits sind die Ansprechraten bei den anderen Wirkstoffen meist niedriger, und andererseits kommt es nach einer bestimmten Zeit bei einer Mehrzahl der Patienten zu einer erneuten Progression des Tumorwachstums. Der Grund ist, dass die Krebszellen gegen den Wirkstoff resistent werden (Bozic et al. 2012, Groenendijk und Bernards 2014). Das Problem der primären (Tumorzellen sind bereits bei Therapiebeginne resistent gegen die Wirkung eines Arzneimittels) bzw. sekundären Resistenz (Tumorzellen entwickeln unter der Therapie Resistenz) gibt es nicht erst seit Einführung der zielgerichteten Therapien, sondern es tritt auch unter den konventionellen Chemotherapeutika auf; lediglich die Resistenzmechanismen unterscheiden sich.

Bei der BCR-ABL-positiven CML führt eine einzige onkogene Mutation zur Tumorentwicklung. Bei anderen Tumoren findet man jedoch in der Regel mehrere oder sogar zahlreiche Mutationen. Nach dem Konzept der „Onkogenabhängigkeit“ (oncogene addiction) gibt es jedoch auch bei mehreren Mutationen Konstellationen, bei denen das Tumorwachstum von einer einzigen onkogenen Mutation abhängig ist. Nicht zuletzt deshalb wirken zielgerichtete Therapien. Jedoch kann es auch bei Vorhandensein einer „Onkogenabhängigkeit“ zu Resistenzen kommen (Weinstein und Joe 2006). Auch bei Patienten mit BCR-ABL-positiver CML gibt es primäre Resistenzen bzw. können sich sekundäre entwickeln (Jabbour et al. 2011). Allerdings können diese in der Regel durch andere BCR-ABL-Inhibitoren überwunden werden und vor allem haben die Krebszellen bei den meisten dieser Patienten keine „Ausweichmöglichkeiten“ in Form weiterer Mutationen, die ihnen einen zusätzlichen Überlebensvorteil bieten könnten.

Es wird also nicht ausreichen, immer neue Ziele für mögliche Krebstherapien zu entdecken und entsprechende Arzneimittel zu entwickeln. Als grundlegendes Hindernis muss die Resistenzbildung überwunden werden, um für einen Großteil der Patienten ein langjähriges Überleben zu ermöglichen.

Das kann durch verschiedene Ansätze erreicht werden, z. B. dadurch, dass bei jedem individuellen Tumor die „Achillesferse“ identifiziert wird. Das ist zurzeit jedoch nicht möglich (Weinstein und Joe 2006).
Ein weiterer Ansatz ist die Entwicklung neuer Kombinationstherapien – ein Ansatz, der von vielen Autoren als sinnvoll und notwendig erachtet wird (Groenendijk und Bernards 2014, Langhammer 2013, Masui et al. 2013, Weinstein und Joe 2006). Das Konzept der Kombinationstherapie ist in der Onkologie nicht neu und wird insbesondere auch bei der Behandlung von bestimmten Infektionskrankheiten eingesetzt, wo man ebenfalls mit dem Problem der Resistenzbildung zu tun hat. Dies gilt z. B. für die Therapie der Tuberkulose, aber auch bei der Behandlung von HIV/Aids war es erst durch Kombinationstherapien möglich, nachhaltige Erfolge zu erzielen. Die Vorteile einer Kombinationstherapie in der Onkologie wurden bereits in den 1970er-Jahren diskutiert (z. B. DeVita et al. 1975). Auch die erfolgreiche Behandlung im Sinne einer Heilung von kindlichen Leukämien ist nur durch Anwendung von Kombinationstherapien möglich (Frei 2013).

Neu ist allerdings, dass geeignete Kombinationen nicht wie bisher durch Versuch und Irrtum ermittelt werden, sondern durch ein rationales Vorgehen identifiziert werden sollen. Das heißt, es müssen detaillierte Kenntnisse über die relevanten Veränderungen in den Krebszellen vorliegen, um auf dieser Basis die erfolgversprechendsten Kombinationen zu finden, die an den entscheidenden Zielstrukturen angreifen. Dies kann von Krebs zu Krebs, vermutlich auch von Patient zu Patient, sehr unterschiedlich sein. Zudem sind darüber hinaus für jede mögliche Kombination zahlreiche Fragen zu beantworten, u. a. zu Dosierungsschemata, Toxizität, Abfolge der Kombination und nicht zuletzt auch zur Resistenzentwicklung, denn auch unter Kombinationstherapien kommt es zur Resistenzbildung (Groenendijk und Bernards 2014, Masui et al. 2013, Weinstein und Joe 2006).

Literatur

  • Bozic I, Allen B, Nowak MA. Dynamics of targeted cancer therapy. Trends Mol Med 2012;18(6):311–316
  • DeVita VT Jr, Young RC, Canellos GP. Combination versus single agent chemotherapy: a review of the basis for selection of drug treatment of cancer. Cancer 1975;35(1):98–110
  • Druker BJ, Guilhot F, O'Brien SG, Gathmann I, Kantarjian H, Gattermann N, Deininger MW, Silver RT, Goldman JM, Stone RM, Cervantes F, Hochhaus A, Powell BL, Gabrilove JL, Rousselot P, Reiffers J, Cornelissen JJ, Hughes T, Agis H, Fischer T, Verhoef G, Shepherd J, Saglio G, Gratwohl A, Nielsen JL, Radich JP, Simonsson B, Taylor K, Baccarani M, So C, Letvak L, Larson RA; IRIS Investigators. Five-year follow-up of patients receiving imatinib for chronic myeloid leukemia. N Engl J Med 2006;355(23):2408–2417
  • Frei E 3rd. Acute leukemia in children. Model for the development of scientific methodology for clinical therapeutic research in cancer. Cancer 1984;53(10):2013–2025
  • Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA). Beschlüsse zur Nutzenbewertung. 2016, https://www.g-ba.de/informationen/nutzenbewertung (18.07.2016)
  • Gemeinsamer Bundesausschuss (G-BA). Richtlinie ambulante spezialfachärztliche Versorgung § 116b SGB V – ASV-RL. 2016, https://www.g-ba.de/informationen/richtlinien/80/#tab/beschluesse/details/2164/listContext/beschluesse (29.08.2016)
  • Groenendijk FH, Bernards R. Drug resistance to targeted therapies: déjà vu all over again. Mol Oncol 2014;8(6):1067–1083
  • Jabbour E, Parikh SA, Kantarjian H, Cortes J. Chronic myeloid leukemia: mechanisms of resistance and treatment. Hematol Oncol Clin North Am 2011;25(5):981–995
  • Khan FA, Pandupuspitasari NS, Chun-Jie H, Ao Z, Jamal M, Zohaib A, Khan FA, Hakim MR, ShuJun Z. CRISPR/Cas9 therapeutics: a cure for cancer and other genetic diseases. Oncotarget 2016; doi: 10.18632/oncotarget.9646
  • Langhammer S. Rationale for the design of an oncology trial using a generic targeted therapy multi‑drug regimen for NSCLC patients without treatment options (Review). Oncol Rep 2013;30(4):1535–1541
  • Majorczyk S. Das Handbuch gegen Krebs. Neues Wissen. Neue Hoffnung. Neue Therapien. ZS Verlag Zabert Sandmann GmbH 2015
  • Masui K, Gini B, Wykosky J, Zanca C, Mischel PS, Furnari FB, Cavenee WK. A tale of two approaches: complementary mechanisms of cytotoxic and targeted therapy resistance may inform next-generation cancer treatments. Carcinogenesis 2013;34(4):725–738
  • National Cancer Institute (NCI). The "Accidental" Cure -Platinum-based Treatment for Cancer: The Discovery of Cisplatin. 2014, http://www.cancer.gov/research/progress/discovery/cisplatin (18.07.2016)
  • Roche Pharma AG (Hrsg.) Vemurafenib Modul 3A: Zweckmäßige Vergleichstherapie, Anzahl der Patienten mit therapeutisch bedeutsamem Zusatznutzen, Kosten der Therapie für die GKV, Anforderungen an eine qualitätsgesicherte Anwendung. 2012, https://www.g-ba.de/downloads/92-975-111/2012-02-17_Modul3A_Vemurafenib.pdf (19.07.2016)
  • Roche Pharma AG (Hrsg.) Trastuzumab Emtansin Modul 2 Allgemeine Angaben zum Arzneimittel, zugelassene Anwendungsgebiete. 2013, https://www.g-ba.de/downloads/92-975-423/2013-11-25_Modul2_Trastuzumab_Emtansin.pdf (19.07.2016)
  • vfa (Hrsg.). Therapieinnovation 7 – Individuell gegen den Tumor. 2006, www.vfa.de/download/therapieinnovation7.pdf (18.07.2016)
  • Weinstein IB, Joe AK. Mechanisms of disease: Oncogene addiction – a rationale for molecular targeting in cancer therapy. Nat Clin Pract Oncol 2006;3(8):448–457
  • White MK, Khalili K. CRISPR/Cas9 and cancer targets: future possibilities and present challenges. Oncotarget 2016;7(11):12305–12317