Veröffentlicht am: 06.01.21
Der Beginn der modernen antiepileptischen Arzneitherapie wird vielfach auf das Jahr 1857 datiert, als erstmals über die Anwendung von Kaliumbromid bei Epilepsie berichtet worden sein soll (Brodie 2010, Eadie 2012). Besser belegt ist der nächste Meilenstein, die Anwendung von Phenobarbital bei Epilepsie durch Alfred Hauptmann im Jahr 1912. Hauptmann hatte den erst in jenem Jahr als Sedativum eingeführten Wirkstoff Patienten mit Epilepsie gegeben – zur Beruhigung der Patienten, damit Hauptmann weniger beim Schlafen gestört würde. Schon bald fiel ihm auf, dass die Zahl der Anfälle bei den so behandelten Patienten auch tagsüber geringer war. So wurde die antikonvulsive Wirkung der Barbiturate entdeckt und 1912 von Hauptmann in der Münchner Medizinischen Wochenschrift publiziert. Sowohl die Publikation in einem deutschen Fachjournal als auch der bald beginnende Erste Weltkrieg waren die Ursache dafür, dass Phenobarbital erst 1923 in Großbritannien eingeführt wurde (López-Muñoz et al. 2005). Die meisten der weiteren bis in die 1960er-Jahre eingeführten Antiepileptika können als Weiterentwicklungen der Barbiturate angesehen werden. 1938 wurde erstmals Phenytoin erfolgreich bei Epilepsie eingesetzt.
Ein weiterer wichtiger Schritt war die Entwicklung von Ethosuximid, das seit 1961 in Deutschland zur Verfügung steht. Carbamazepin kam 1964 als Antiepileptikum auf den Markt, doch war auch seine Wirkung bei Neuralgien bereits zu diesem Zeitpunkt bekannt (Ger 1964). Rein zufällig wurde 1963 die antikonvulsive Wirkung der Valproinsäure entdeckt: Sie wurde für eine Versuchsreihe als Lösungsmittel für andere Wirkstoffe verwendet. Erstaunt stellte man fest, dass alle geprüften Wirkstoffe antikonvulsiv wirkten, und schloss daraus, dass das Lösungsmittel für die Wirkung verantwortlich sein müsste (Brodie 2010). Die Benzodiazepine wurde ab Beginn der 1960er-Jahre entwickelt, und bereits 1965 war die Wirkung von Diazepam beim Status epilepticus bekannt. 1976 wurde mit Clonazepam das erste Benzodiazepin als Antiepileptikum eingeführt.
1975 wurde vom National Institute of Neurological Disorders and Stroke ein Programm zur Entwicklung antikonvulsiver Wirkstoffe gestartet. Dies hatte zur Folge, dass mehr als 28 000 Substanzen auf ihre Eignung untersucht wurden und ab Mitte der 1990er-Jahre zahlreiche der sogenannten modernen Antiepileptika eingeführt wurden (Brodie 2010). Zu diesen gehören u. a. Lamotrigin (1993), Gabapentin (1995), Topiramat (1998), Levetiracetam (2000), Pregabalin (2004) und Zonisamid (2005).
Die jüngsten Neueinführungen waren Retigabin (2011) und Perampanel (2012). Für keinen der beiden Wirkstoffe konnte im Rahmen der frühen Nutzenbewertung ein Zusatznutzen belegt werden. Aktuell sind die Wirkstoffe in Deutschland nur als Einzelimporte verfügbar. Retigabin wurde im Sommer 2017 wegen Langzeitnebenwirkungen weltweit vom Markt genommen.